Mittwoch, 28. Mai 2008

odyssee 2001

WÖRTERBUCH ZUM FILM:


• Andere Filme:
Kubrick: 1960: Spartacus (Spartacus); 1962: Lolita (Lolita); 1968: 2001: Odyssee im Weltraum (2001: A Space Odyssey); 1971: Uhrwerk Orange (A Clockwork Orange); 1999: Eyes Wide Shut (Eyes Wide Shut)

Planet der Affen ist ein Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1968, basierend auf dem Roman Planet der Affen (La planète des singes, 1963) von Pierre Boulle.

Raumschiff Enterprise (Star Trek, Star Trek: The Original Series, TOS) von 1966 bis 1969, 3 Staffeln, 79 Folgen

Star Wars (dt. Krieg der Sterne, wörtlich: Sternkriege), Science-Fiction-Saga von George Lucas, 1977

Fortsetzung zum Film:
2010 – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen (2010: The Year We Make Contact), Regie von Peter Hyams, USA 1984

• Astrologie: Konjunktion = scheinbares oder wirkliches Zusammentreffen von Sonne, Mond, Planeten und Fixsternen; vgl. „Sternbilder“

• Künstliche Intelligenz (KI, engl. artificial intelligence, AI) ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens befasst. Der Begriff ist insofern schwierig, als es keine genaue Definition von Intelligenz gibt. Trotzdem findet er in der Forschung und Entwicklung Anwendung.

• Double Bind – Situation: widersprüchliche Aufgabe ohne logische Lösungsmöglichkeit

• Surrealismus: Bewegung in der Literatur und bildenden Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die versuchte, das Unwirkliche und Traumhafte sowie die Tiefen des Unbewussten auszuloten und in der Kunst darzustellen.

• Außerirdische Intelligenz: Kann es intelligentes Leben im Universum außerhalb der Erde geben? Wie kann es vorgestellt werden?

• Leben im Weltraum: schwerelos – ohne Oben und Unten; einsam; ewige Finsternis; Verlorenheit; nur im technisch-künstlichen Milieu möglich

• Musik: Leitmotivtechnik
warum Walzer? – Tanzmusik; ¾-Takt; „blaue“ Donau - Johann Strauß;
warum „Also sprach Zarathustra“? – zu den Konjunktionen des Monolithen
Atmosphères von György Ligeti: Cluster-Musik – ohne erkennbare Melodien
Aram Chatschaturjan: Adagio für Solo-Cello und Streicher aus der Gajaneh-Suite – Aufbruch zum Jupiter



Einige Filmbesprechungen:

https://www.arte.tv/de/film/Stanley-Kubrick/Die-Filme/1734230.html

https://www.filmspiegel.de/filme/2001-odysseeimweltraum/2001-odysseeimweltraum_1.php

https://de.wikipedia.org/wiki/2001:_Odyssee_im_Weltraum

Mittwoch, 14. Mai 2008

der zögling tjaz - kein entwicklungsroman

1.

Die gängige Spur, diesen Roman von Florjan Lipus als Dokument der slowenischen Volksgruppe zu lesen, die Peter Handke mit seiner Übersetzung ins Deutsche gelegt hat, wird bestehen bleiben und kann von jedem betreten werden. Es führen aber noch viele andere Spuren zu und durch dieses Werk, und besonders um derentwillen, die das Werk jenseits wieder verlassen, soll noch ein anderer Durchgang versucht werden.

a.
Endlich gehst du durchs Dorf, beginnt Buch und Erzählung, also mit einer Rede, die im ganzen Roman anhält und ein Du hat, aber keineswegs den Leser. Vom Ende her gesehen könnte das eine Art Biograph sein, einer, der die Geschichte des Zöglings aufschreibt, aber jedenfalls erzählt er sie ihm, erzählt ihm also die eigene Geschichte. Warum tut man das? Es ist wie das gemeinsame Betrachten alter Familienfotos, da wird gezeigt und identifiziert, und mitunter neu gedeutet. Dem Zögling wird vom Ende her seine eigene Geschichte gesagt, er ist verwirrt, ihm wird gesagt: schau her, das bist du, so bist du.

b.
Das Dorf, durch das Tjaz zur Bahnstation geht: das zwischen deiner Bahnstation und dem Elternhaus liegt, und das heißt nicht viel: es ist ihm gewährt, dazwischenzuliegen, mag es dir auch im Weg sein auf dem Weg zur Station. (S.5 – zitiert nach der Ausgabe Suhrkamp 1984)
Ist das eine Überhebung des Zöglings, dass dem Dorf die Gnade seiner Beheimatung zukommt? In der Anrede mag es eine Beschwörung sein, die ihn groß macht und ihm eine Identität verleiht, die vor dem Dorf und seiner restlichen Umgebung liegt. Aber recht allgemein soll diese Verortung des Zöglings zunächst nur Subjektumkehr genannt werden: nicht der Gehende durchkreuzt die Umgebung, sondern die Umgebung umlagert den Gehenden. Auf dem Lebensweg des Zöglings liegen: Elternhaus, Dorf, Bahnstation.... So funktioniert der Text.

c.
So sitzt du eigentlich nicht im Zug, obwohl du inzwischen schon eingestiegen bist, sondern treibst dich in den Mäulern deiner Dörfler herum und bist ihnen Anlaß zu Gedampfe. Obwohl sie nicht die Deinen sind und du keiner von ihnen bist, sind sie doch die Deinen, und du bist einer von ihnen, weil sie dich zu ihresgleichen gezählt haben, sie selbst haben ja sonst niemanden, du hast dich ihrer erbarmt (8). Zur Subjektumkehr, die nun deutlich als Gnade dargestellt ist, tritt noch eine Dislokation: Gesprächsstoff sein mindert die Präsenz im fahrenden Zug. Gesprächsstoff sein ist eine Aktivität, vergleichbar der wiederkäuenden Verdauung von Kühen. Und noch eine weitere Art von Subjektumkehr läßt es pendeln, wer nun zu wem gehört, wer also der Aktive und wer der Zugehörige ist. Zuletzt bleibt die Unzugehörigkeit: die niemand haben, sind die Heimatlosen (ich will nicht von der Volksgruppe reden!) – d.h. in der Rückgängigmachung der Subjektumkehr wird nun deutlich der Tjaz als der Heimatlose, Unzugehörige, ja Verlorene sichtbar, und in der Rede wird ihm gerade das Gegenteil beschworen. Das zum Sinn dieser Redeform.

d.
Ist es Gottes Wille gewesen, ist es nicht Gottes Wille gewesen, Tjaz hat angefangen, sie von unten her anzuschauen, statt von oben, dabei ist er sich auch seiner Verwirrung bewußt geworden. Der Internatling schaut das Weib grundsätzlich von oben an (16). Zur Subjektumkehr tritt der Perspektivenwechsel. Das Internat liegt am Berghang und schaut ins Tal. Der Zögling wird einmal ein gebildeter Mensch, und schaut auf die Dorfbewohner herab. Das geistliche Institut bereitet auf ein geistliches Leben vor und blickt daher auf die Frau herab. Nun, das sind alles die Trampelpfade biederen Lesens. Aber hier ist von Gottes Blick die Rede. Und der Wechsel in die irdische Perspektive ist derjenige der Versuchung: aber wenn ihn die Augen verleiten. Wenn hier aber Adam und Eva mitzulesen sind, dann wird die Frage nach Gottes Willen zur theologischen Frage: Will Gott die Versuchung? Das Verleitetwerden durch die Augen klingt wie Ausrede, bei Adam: die Schlange – aber ist nicht beides gleichermaßen Subjektumkehr? Dann ist der ganze Text als Rechtfertigung zu lesen.

e.
Die Initiation, die nun folgt, wird als Vorgang zwischen Erde und Mensch erzählt: Beute – Finger – Stengelchen – Widerstand – stinkigen Saft, Finger bespritzt – Säfte versagt – strotzende Lebensverlangen – heilsamen Berührungen – ranzigen Ausdünstungen – Blut aus der Wunde gesickert – keine Schmerzen - Honig gerochen – Norm zerplatzt - . Als du heimgehst, verbeugt sich vor dir das Gras (17-25). Umgekehrt erscheinen nun sie als die Erde (anstatt Adam aus dem Ackerboden) und er als das Leben (anstatt Eva, das Leben). Aber es ist eine Begegnung und Herausforderung, die er bestanden hat. Ohne zu wissen, was hier geschieht, hat er sich gestellt und bestanden. Das Gras verbeugt sich vor ihm, der das unerkannte Brautgemach verläßt, und Mann geworden kehrt er heim, ohne bemerkt zu haben, wie klein er ist: das Gras.
Diesem (ambivalenten) Sieg folgt sogleich die Niederlage, wenn die Verirrung des Kindes erzählt wird, das dem Vater, Holzfäller, das Essen in den Wald nachtragen soll: er, der keine richtige Sprache har, hat den Weg nicht richtig erklärt: so daß du schwindlig geworden bist und es dir den Boden unter den Füßen weggezogen hat (27). Unmittelbar nach der Defloration erzählt, könnte der Schwindel auch von dieser herrühren. Aber der Verirrte taumelt allein durch den dunklen Wald: Ein Abgrund hat dir entgegengestarrt und ist dir mit seiner Leere ans innerste Leben gegangen, er hat vor dir zu schwanken angefangen, fast hat er getanzt. Du bist größer geworden, und vor den Augen ist dir immer noch der Abgrund, der sich wiegt (28). Aber wieder ist es umgekehrt: Der Abgrund ist des Tjaz´ Ursituation, und im tanzenden Mädchen findet er sie wieder. Der Abgrund der Existenz aber erzeugt Schwindel.

f.
Wie und warum wird aus Tjaz der Kratzende? Er, der Kadavergehorsam von zu Hause kannte, hat den Predigten und Ansprachen des Spirituals auf den i-Punkt geglaubt (39) – warum ist er nicht in seiner Unauffälligkeit geblieben? Das kirchliche Leben des Internats nennt der Erzähler eine bloße Herde von Melkkühen, die Bubenschaft nur den ausführenden Teil: denn für das Leben der Kirche ist ein gläubiges Volk nun einmal notwendig, zum Unterordnen und zum Befolgen der Gebote (35). Ist das nun eine Kirchenkritik, verbunden mit einer Kritik am Internat? ....jetzt knieten sie sich nieder und streckten die Zungen heraus, auf daß der Priester einen nach dem andern sakramentalisch belade, worauf dann Reinheit von vorn nach hinten die Bänke durchstrahlte .... wie viele Wege mußten sich kreuzen, wie viele Schritte im Gleichmaß erfolgen, bis der Kirchengeometrie genügt war. (36)
Wiederum ist auf die Subjektumkehr zu achten, die Rechtfertigungsfunktion hat. Die Verlagerung der Verantwortung auf die Umstände und die Umgebung soll entlasten. Der Bericht des Biographs spricht den Zögling frei. Aber die hier genannten Subjekte sind: die Bubenschaft, die Kirchengeometrie. Das sind keine verantwortungsfähigen Subjekte, sondern Verallgemeinerungen. Der einzelne wird in etwas (imaginäres) Allgemeines hineingestellt. Die beladenen Zungen, die bänkedurchstrahlende Reinheit, die vorherrschende Kirchengeometrie erscheinen als imaginäre Subjekte, denen alles Individuelle und Selbständige unterzuordnen ist. Jedenfalls für Zöglinge, die nicht Ich sagen, nicht selbst und aus Eigenem handeln, sondern wegen etwas Allgemeinem und ihnen Fremden. Die Subjektumkehr (Subjektverwandlung) zeigt die fehlende Individuation: als Erziehungsproblem und als pastorales Problem. Wir denken an die Zeiten der Volkskirche und an das kirchliche Leben aus automatisierter Zugehörigkeit, ohne individuelle eigenverantwortliche Glaubensentscheidung.

g.
Ein Unglück, das ihm leibhaftig die Schuhe ausgezogen hat (47), begegnet dem Mitzögling, der unglücklicherweise gerade vor Tjaz zu sitzen kommt. Als dieser ihm unbemerkt die Nägel aus den Lederschuhen zieht, welche auseinanderfallen, wäre er am liebsten versunken. Nun beginnt Tjaz seine Abgründigkeit und Bodenlosigkeit auf andere zu übertragen, und es wird ausdrücklich als seine neue Aktivität dargestellt, als sein Eigenes, seine neue Eigenheit, das Kratzen, obwohl das doch augenscheinlich gar nichts mit Kratzen zu tun hat. Kratzen ist Zeichen der Wehrhaftigkeit des Unterlegenen, Schwächeren. Kratzen macht nicht stärker, aber sichert einen Freiraum.
Durch das Kratzen ereignet sich verspätet Tjaz´Individuation.

h.
Als der bereits Mann gewordene Tjaz das Mädchenzimmer der nicht unerfahrenen Nini betritt, da hat er zunächst nur Augen für die Zimmereinrichtung. Vielleicht ist es das Individuelle nach den Schlafsälen, die er kennt, vielleicht das Persönliche und Private. Jedenfalls verschafft ihm das Beobachten und Späen einen Freiraum, und es sind nach dem Kratzen die ersten freien Handlungen, die von ihm erzählt werden – und gerade der Widerspruch zum Allgemeinen der Internatsordnung sind das Zeichen dafür, bis zur morgendlichen Heimkehr. Viel Sprechen mit der neuen Freundin war nicht.

i.
Der Höhepunkt des Kratzens, und sozusagen die erste freie und bewußte Tat, ist die Stürmung des Himmels, verbunden mit der Schändung der Heiligen. Tjaz erklettert zusammen mit einem Verbündeten, wahrscheinlich dem Biographen, und im Beisein Ninis, nachts den Hochaltar mit der Säge, und verstümmelt die Heiligenfiguren, die er bisher so wie damals das Mädchen von unten gesehen hat. Einige göttliche Heilige und Heiliginnen haben noch gewartet und uns ihr Holz angeboten, aber wir haben sie nicht mehr erhören können (96). Das Wachstum des noch klein gebliebenen Tjaz setzt mit den Kratzaktionen ein, und das größte Wachstum, das im Internat möglich ist, führt zu den Heiligen und über sie hinaus, die weiblichen werden gesondert erwähnt. Es erscheint als lustvolle Orgie, und wie als weiterer, besonderer Schritt auf der Himmelsleiter, und ohne einen Schatten von Destruktivität und Rache. Der zu sich gekommene Holzfäller.

j.
Am Ende wird des Tjaz´ Neigung zur Weiblichkeit auf einen noch höheren Turm führen. Und auf die höchste Erhebung des Verbannten wird dessen tiefster Fall folgen, gerade in dem Moment, als er mit dem Biographen zusammentreffen soll. Damit könnte die ganze Biographie als fiktiv erkannt sein, wenn sie nicht als Beschwörung und Rehabilitation des Gefallenen zu verstehen ist. Denn der Tjaz scheint noch immer keine eigene Sprache gehabt zu haben, konnte sich auch mit dem Mädchen kaum verständigen.


k.
Erhellend ist ihr Bericht, ebenso fiktiv wie der des Biographen: mit dem Gekratze vervollständigte er sich, formte sein eigenes Leben, hielt sein Geschick im Gleichgewicht(193)- deutet sie, versteht es also und versteht es nicht, ist in einer Weise ihm verbündet und ist es nicht.
Ich verstehe nicht, wie er sich das Leben nehmen konnte, ich habe ihn doch alles tun lassen, was ihm nottat(197), bekennt sie offen und hilflos, und zeigt damit das Drama des Scheiterns aller: des Vaters, des Internats, der Freundin. Des Tjaz.
Mit tun lassen ist es nicht getan.
Was war wohl jenes Wort?
Er trug in sich jenes Wort, das ihn letztlich in den Tod trieb(186) - das niemals ausgesprochene, verschwiegene, ungesagte, doch gesagte, unverstandene, entsetzliche, von dem sie fühlte, dass er es ihr zugedacht hätte:
immerhin jemand, der ICH sagt.


2.

a.
Ein anderer Zögling, und damit soll jetzt des Tjaz` Geschichte von hinten und von innen aufgerollt werden, nämlich der Törleß, erlebt jene "Jahre des Übergangs" in einem Erziehungsinstitut in der Provinz - er kommt sozusagen von der anderen Seite, von der städtischen, wohlhabenden, gut situierten an ebendiese Schwelle, und die Provinz selbst mag dabei die Aufgabe eines Klosters erfüllen, das in seiner Abgeschiedenheit die inneren Vorgänge verstärkt zu Bewusstsein bringt: und er borgt seine Sprache jenem Holzfällerbuben und konzediert gleich zum Anfang dessen Ende:
Wenn man da solch einem jungen Menschen das Lächerliche seiner Person zur Einsicht bringen könnte, so würde der Boden unter ihm einbrechen, oder er würde wie ein erwachter Nachtwandler herabstürzen, der plötzlich nichts als Leere sieht.(16 - Törleß, nach Rowohlt zitiert)

b.
"Von alldem, was wir den ganzen Tag in der Schule tun, - was davon hat eigentlich einen Zweck? ... Man weiß am Abend, daß man wieder einen Tag gelebt hat, daß man soundsoviel gelernt hat, man hat dem Stundenplan genügt, aber man ist dabei leer geblieben, - innerlich meine ich, man hat sozusagen einen ganz innerlichen Hunger...."
Das ist eine Wahrnehmung des Schülerlebens im ganzen, der Betriebsamkeit mit all ihrer inneren Folgerichtigkeit, wahrscheinlich nicht anders als auch ein Berufsleben: es bleibt ohne innere Korrespondenz, es geht ins Leere, es antwortet nichts im Menschen, der Schüler ist zwar tätig, doch nur äußerlich, die Tätigkeiten meinen nicht IHN, er selbst wird nicht erreicht und bleibt hinter dem Getriebe zurück.
"Es ist so: Ein ewiges Warten auf etwas, von dem man nichts anderes weiß, als daß man darauf wartet .... Das ist so langweilig ...." (30f)

c.
Bei Tjaz klingt das so: Jetzt kamen sie reihenweise nach vorn zu den betonierten Altarstufen, jetzt knieten sie sich nieder und streckten die Zungen heraus, auf daß der Priester einen nach dem anderen sakramentalisch belade, worauf dann Reinheit von vorn nach hinten die Bänke durchstrahlte ... wie viele Wege mußten sich kreuzen, wie viele Schritte im Gleichmaß erfolgen, bis der Kirchengeometrie genügt war. (36) Wieder steht das handelnde Subjekt zur Frage (Subjektumkehr), liegt nicht im Schüler, nicht im Erzieher/Priester – und diesmal kann der Entzug des Subjekts nun ein Tor öffnen zu der wirklichen Misere der Geschichte: Sie entbehrt der Handelnden! Ein Gottesdienst um der Geometrie willen, kein Erziehungsziel, keine Werte, keine Selbständigkeit, kein selbständiges Glauben. Stattdessen Selbstanpassung.


3

a.

Viele würden jetzt gerne auf die bestimmten Bildungsinstitutionen eingehen, die Internate, die Schulen, auch auf Kirche als Institution, auf Glaubens-„Vermittlung“. Und die kritische Schlagrichtung im Zögling Tjaz ist nicht zu verhehlen. Aber zuerst sollte Dringlicheres abgeklärt werden: Es fehlt an Menschen. Solche, die handeln können, die entscheiden, die Ziele haben, die begegnen können. Menschen mit Freiheit und Selbständigkeit. Dem Tjaz gegenüber ist nur ein Mensch mit seinem Namen geltend geworden, und dieses Mädchen war selbst noch halb Kind, das mit sich machen ließ.

b.
Was nun den Institutionen angelastet werden kann, ist, dass sie zuwenig transzendente Ziele anstreben, zumal den kirchlichen. Denn nicht als Anpassung soll gelebt/gelernt/geglaubt werden, darin liegt kein Sinn, sondern in jedem einzuübenden Vollzug soll das Worumwillen deutlich werden, das erst wäre die wirklich pädagogische und menschliche Aufgabe.

c.
Nun ist gerade am Törleß deutlich geworden, dass erst solche Selbstdistanzierung gültige, weil reflektierte Sprache hervorbringt. Tjaz spricht nicht, er kratzt. Mutter/Vater haben ihm keine Sprache gegeben, und verlassen tastet er nach dem großmütterlichen Urbild einer Zugehörigkeit, ohne einem elterlichen Menschen zu begegnen, auf schwankendem Boden.
Dass Sprache entsteht, bedarf eines anderen, eines Fremden (des Biographen), obzwar mit unerklärlichem Wissen über des Tjaz’ Geschichte und Herkunft. Möglicherweise ist er ihm doch näher gekommen, als er sagt.

d.
Und wenn es das ist, was bleibt, der Appell an die persönliche Begegnung, die Wahrnehmung des einzelnen in seiner unsäglichen Not, das Erscheinen des Ungesagten – oder wenn es sogar das ist, dass in der unbeholfenen Subjektumkehr das bleibend Mystische erkannt wird, dass jenseits des frei und selbstbewußt handelnden Menschen etwas anderes als Subjekt erkannt wird. Aber man soll sich Gedanken machen, wie einer Mensch werden kann, und nicht Funktion, und es ist wohl seit den Zeiten des Tjaz der Individualismus weit fortgeschritten, sogar extrem weit, ist zum wichtigsten immanenten Wert der Gesellschaft geworden, aber noch lange nicht die Individuation, im Gegenteil. Was heißt nun ICH sagen.



Vergleiche:
https://diepresse.com/home/meinung/kommentare/fleischhacker/374605/index.do?direct=374563&_vl_backlink=/home/bildung/erziehung/index.do&selChannel=
https://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/384583/index.do?from=suche.intern.portal

Freitag, 2. Mai 2008

halbe welt gesehen

Halbe Welt, 6 Uhr morgens: Sirenen heulen. Die Straßen leeren sich. Fenster werden verdunkelt. Menschen flüchten unter die Erde.- Die Sirenen verstummen. Stille. Über der leblosen Stadt taucht die Sonne auf und wirft ihr tödliches Licht auf die Halbe Welt. 12 Stunden später: Sonnenuntergang, Entwarnungssirenen, das Leben beginnt- Gute Nacht. Der Film zeigt verschiedene Überlebenstechniken in einer künstlichen Welt- Action, Liebe, Sex und Gewalt. In den Metropolen der Halben Welt wuchert eine Kultur aus verschiedenen Sprachen und Lebensformen. Katz (Dani Levy) ein Dealer, streunt herum und verkauft alte Ansichtskarten einer längst verotteten Natur. Herzog (Rainer Egger) steht jeden morgen mit der Stoppuhr auf dem Dach seines Hauses und versucht den Sonnenaufgang zu ertragen. Die "Weißen" besitzen das Monopol auf die Vergangenheit und produzieren mittels alter Naturaufnahmen elektronische Illusionen für eine unsichtbare Elite. Die "Schwarzen" bemächtigen sich dieser Illusionsmaschinen und manipulieren sie. In Sunnys Tagesbar trifft sich die halbe Welt.

Österreich 1993, 83 Min, Farbe, S-16 / 1:1.66 (Blow up to 35mm)
Regie: Florian Flicker
Darsteller: Rainer Egger (Herzog)
Dani Levy (Katz)
Maria Schrader (Sunny)
Mercedes Echerer (Sina)
Goran Rebic (Repro)
i.w.R.: Proschat Madani, Allen Browne, Michael Kreihsl, Karl Markovics, Cornelia Lippert, Clemens Galen, Heinrich Strobele, Mara Mattuschka u.a.


Wörterbuch:
- psychedelisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Psychedelisch
- virtual reality: https://www.focus.de/wissen/wissenschaft/virtual-reality-digitale-traumreisen_aid_143805.html
- synthetische Erlebnisse, Computerspiele, z.B. https://www.planet-xbox.de/?article=6619&name=Interview_Tetsuya_Mizuguchi_Q_Entertainm
- Genre: Utopie/Science Fiction/Fantasy? Siehe Aldous Huxley, George Orwell
- Ozonloch, Klimaveränderung

Thesen:

o Der Einzelne gegen die Mächte
o Freiheit braucht Sinnlichkeit und Natur
o in einer synthetischen Welt verkümmert der Mensch und die Gesellschaft
o ein von synthetischen Elementen durchsetztes Leben erschwert das moralische Urteil des Menschen: was gut/böse, richtig/falsch ist
o es gibt ein unstillbares Bedürfnis des Menschen nach Beheimatung in einer intakten Natur
o die Verdrängung und Zerstörung der Natur entspringt dem Kampf des Menschen gegen sich selbst: seinen Blockaden, seinem innerer Unfrieden, seiner Unversöhntheit

Natürliches / synthetisches Leben

+ Essen: Kunstdünger, Insektenvertilgung, Massentierhaltung in Fleischfabriken, antibiotische Nahrungszusätze, gentechnisch verändertes Soja aus Übersee, Tiertransporte quer durch Europa

+ Liebe: Kosmetik, gefärbte Haare, Schönheitschirurgie, Empfängnisverhütung, künstliche Befruchtung, Genanalyse, synthetische Genomproduktion (vorerst bei Bakterien)

+ Fortbewegung: "Massen/Individual"verkehr, nur mit Auto erreichbare Wohnquartiere, auf Autoverkehr ausgerichtete Infrastruktur

+ Freizeit: Computerspiele als Abenteuersimulation, Fernsehen, Videos, Kommerzkino, Joggen mit iPod, Shopping mit Musikberieselung, Sport mit Kunstfaser- und formaldehydimprägnierter Sportbekleidung, Spezialgeräte wie Fahrrad oder Klettergurt, spezielle Areale wie Golfplatz oder Kletterwand; Kraftkammer, Wandern mit JPS-Navigation und Handy-Notruf

+ Reisen: All inclusive ohne Meerwasserkontakt, dafür aber Begegnungsmöglichkeit mit der einheimischen Bevölkerung im Servicedienst, Flugreisen

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1.

Gut, so einen verstörenden Film auszuhalten. Sowenig Handlung, sowenig zu sehen, soviel Unbegreifliches. Verstörend auch, weil da Lebensformen vorgeführt werden, die wir kennen, aber nicht in ihrer Absurdität gesehen haben.

a.
Keine Lebensprojekte sichtbar, niemand arbeitet, keine Familien, jeder nur für sich, einziges Ziel ist das Erlebnis, der Genuss. Und ein recht fragwürdiger Genuss: alles künstlich und steril. Einziges sichtbare Lebensalter: zwischen 20 und 30, keine Kinder, keine Alten.

b.
Eine Hauptperson, die nicht handelt – oder gerade das Handeln/die Tätigkeit/die Beschäftigung/die Anstellung abbricht: der Angestellte der Bilder-Kontrollfirma/des Geheimdienstes scheint gekündigt zu haben/übergelaufen zu sein. Herzog, der Stumme, der Beobachtende, der sich Zurückziehende.

c.
Bilder von der Natur: Familienalben, am See, im Wald, am Berg, kitschig, scheußlich, beliebig. Apparate von der Natur: ein virtueller Kletterfelsen, eine virtuelle Bootsfahrt. Drogen von der Natur: halluzinierte sexuelle Abenteuer mit der am Kaffeehaustisch gegenüber sitzenden Prostituierten. Nichts ist echt.

d.
Alles ist gleichmäßig, plätschert und tröpfelt, keine Aufregungen, keine Ziele, keine Richtung. Außer Herzog, der auf die Spur gekommen ist: Er hat gesehen, wie jemand in der wirklichen Welt war, draußen im Freien, wo die Sonne unbarmherzig jedes Leben vernichtet, und wie diese Frau danach zu Grunde ging. Die Pupillen verfärbt, die Stimme verändert, zuletzt Blut gespuckt.

e.
Herzog stellt sich der devastierten Natur, der zerstörerischen Sonne. Er versucht, auszuhalten, Luft zu atmen, frei zu gehen, Licht zu ertragen. Er steigt aus. Steigt aus der Unterwelt heraus. Betritt die Oberfläche. Beginnt, die Welt zu erkunden, wie sie wirklich ist. Sucht die wirkliche Welt, der Apparate und Spiegelungen überdrüssig. Und riskiert sein Leben.

f.
Aber auch sein Ausstieg wird eingeholt: vom Taxi, von den Fahndern, von den Illegalen. Im Freien wiederholt sich das undurchsichtige Getriebe der Unterwelt und wird nun allererst sichtbar: Gewalt, Korruption, Verführung, Geschäftemacherei. Herzog wird eingeholt. Vielleicht gelingt erst im Tod der Ausstieg aus dieser verdammten Welt.


2.

Was war so verstörend? Dass die Natur so restlos zerstört ist, dass der Mensch sich so selbstverständlich im Künstlichen eingerichtet hat, und besonders: wie der Mensch nun ist, ohne Natur.

a.
Sie sind nicht unfreundlich, der Katz, die Sunny, die Sina, der Repro, nicht unsympathisch – aber ohne Charakter, ohne Neugier, ohne Berührung: alle irgendwie beiläufig in irgend etwas verstrickt, ohne einen wirklichen Blick auf etwas. Vielleicht am deutlichsten bei Katz, der immer irgendein Geschäft machen will mit allen und mit allem. Wie ferngesteuert, die ganze Gesellschaft.

b.
Nein, verstörend ist, dass wir in all dem immer nur uns selbst erblicken: So sind wir, in der Straßenbahn am Weg in die Arbeit, vor dem Fernseher, in irgendeiner Beschäftigung. So nicht da. So vergnügungssüchtig, so leer, so sinnlos. Und so wehleidig, so naturfern. Und so einverstanden mit all dem scheinbar Unausweichlichen, mit den kurzen Fristen, mit dem Verschwundenen. Denn es ist ja auch das Leid verschwunden, die Mühen, das Anstrengende, das Herausfordernde.

c.
Wer im Sommer auf der Alm ist, am Bauernhof, am See, am Meer, wie ein kleines Aussteigertum, auf asphaltierten Straßen, mit Satellitennavigation, und Handy, iPod und Kletterwand, Fotoapparat und Sonnenbrille, Swimming-Pool und Sonnencreme. Der simuliert Natur. Der produziert eben jene Natur, die von Luna ins Feuer geworfen wird.

d.
Aber Natur ist auch: das Wesentliche. Das Eigentliche. Das, was in sich selbst ist. Zöge sich die Natur zurück, dann wäre auch der Mensch nichts mehr aus sich selbst. Wäre nur mehr, was er aus sich macht – und was die anderen aus ihm machen. Der Verlust des Natürlichen ist auch der Verlust des Ursprünglichen.


3.


Dieser 15 Jahre alte Science Fiction- Film Florian Flickers könnte ganz gut eine Literaturverfilmung sein, obwohl er der Fantasie von Regisseur und Mitarbeitern entsprungen ist und einem kreativen, unabsehbaren Schaffensprozeß mit geringen technischen Mitteln – etwa mehrfach belichteten Bildern.

a.
Zunächst läßt sich im Film Oswald Wieners „Die Verbesserung von Mitteleuropa“ ablesen, besonders der Bioadapter. Aber auch all die lakonischen Vorgänge zwischen den Figuren, das Exzessive, dort der Alkohol, hier die Drogen, die Vorherrschaft von Genuss und Simulation. Und die Nähe der ganzen Szenerie an der Gewalt. Wiener selbst scheint inzwischen der von ihm und seinen Künstlerpartnern damals dargestellten Lakonie erlegen zu sein und hält jetzt ernsthafte Vorlesungen über künstliche Intelligenz – oder er hat die Ironie der Darstellung perfektioniert bis zur Unkenntlichkeit.

b.
Wer Platons Höhlengleichnis in der Halben Welt zu lesen vermag, wird Herzog auf den Schutthalden (der im Bau befindlichen Donauinsel) ins Reich der reinen Ideen blinzeln sehen, nachdem er der dunklen Höhle der Einbildungen und Täuschungen durch die Sinne entkommen ist. Wie die in der Sinnlichkeit Befangenen nur immer mit wirklichkeitslosen Abbildern zu tun haben, während der zur Vernunft Aufsteigende nicht mehr nach sichtbaren Dingen sucht, sondern nach Einsicht in Wesenheiten, so stellt sich einwandfrei seine Zweiweltenlehre dar in einer sichtbaren, aber uneigentlichen, und einer unsichtbaren, befreienden Welt – derer der Mensch aber nicht standhalten kann. Recht klar kann auch die in der Höhle vorherrschende Begierdeseele identifiziert werden, wodurch der Bewohner „weder Ordnung noch Pflichtenzwang kennt, sondern nach Lust und Laune in den Tag hinein lebt und das ein liebliches, freies und seliges Leben heißt“ (Staat 561), also die nach Plato recht bedenkliche vernunftarme Staatsform der Demokratie.

c.
Zwar ist die geöffnete Tür zu sehen, und auch der Posaunenklang ist zu vernehmen, wenn die Zeit um ist und die Endzeit anbrechen könnte. Die Verheißung an den Heraufkommenden, dass ihm gezeigt würde, was geschehen solle, ließe sich noch erahnen. Aber da es ein Film aus Europa ist und kein amerikanischer, folgt darauf keine Thronvision mit umstehenden Adjudanten und tier- und menschenähnlichen Wesen. Kein Buch und folglich kein Text, keine Offenbarung und keine Abrechnung und Herstellung wahrer Gerechtigkeit. Vielleicht könnte man in dem unter den Menschen aufräumenden Luna-Agenten einen Drachen sehen, der die Frau verfolgt, und sogar ein Kind ist wundersam aufgetaucht im Handgemenge der Verfolgung. Aber da ist keine typologische Bedeutung mehr, die bleibt allein bei Herzog, also keine Apokalypse (wie die meisten Science Fiction – Filme), kein Weltuntergang, kein Rettungshorizont. Nur jeder/jedes für sich, lauter Einzelereignisse, die Wesensschau/die Erkenntnis bleibt allein dem zum Grunde gehenden Herzog vorbehalten, der niemanden erlöst.

d.
Die Verstörung ist also berechtigt.

Donnerstag, 1. Mai 2008

6. Viri Galilaei

Ihr Männer, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? – So sagten die Weißgewandeten, vorwurfsvoll klingt es in unseren Ohren, man könnte versucht sein, noch hinzuzufügen: ... Und was geht ihr nicht endlich nach Hause und beginnt, etwas Vernünftiges zu tun? Baut endlich die neue Gemeinde der Christen auf, oder kümmert euch zu Hause um eure Familien!

So vernünftig wäre vielleicht unser Jahrhundert, wäre es dort gestanden in Galiläa, auf dem Berg, und hätte Jesus schwinden gesehen. Jetzt beginnt die Zeit der Selbständigkeit. Jetzt brauchen wir eigene Pläne und Konzepte, es ist vorbei, dem Meister nur hinterher zu gehen und seine Aufträge auszuführen. So denken doch die heutigen Menschen, die gelernt haben, anzupacken und in Ordnung zu bringen. Und man hört ein bißchen Erleichterung heraus. Nun bestimmen wir.

Aber dieses Jahrhundert hätte dann Jesus gar nicht gesehen. Jedenfalls hätte es ihn nicht erkannt. Es hätte von Jesus etwa so ein Verständnis gehabt wie manche Pharisäer: die hatte Jesus nur gestört. Ein Lästiger und Unbequemer, einer, der die Menschen herausfordert, der sie aufruft, sich selbst zu überwinden und alle ihre Blockaden und Vorurteile. Gerade gegenüber Gott, und da fühlten sich die Pharisäer doch hauptzuständig. Oder es hätte Jesus so gesehen wie Judas Iskariot, der Zelot, der Widerstandskämpfer gegen die Römer, ein vernünftiger Mensch mit einem praktischen Ziel, nämlich die Freiheit für sein Volk herzustellen, und gleich auch mit einem Plan, wie die neue Herrschaft aussehen sollte und wer sie auszuüben hätte. Immerhin einer der Jünger Jesu.
Oder wie Petrus, der Jesus, als er von Tod und Auferstehung spricht, in den Arm fällt und es verhindern will, denn der neue Weg soll doch ein Weg der Sieger und Erfolgreichen sein, denen die Sterne günstig sind und alles gelingen soll, mit Gottes Hilfe. Er ist der erste unter den Aposteln.

Aber dieses Jahrhundert hätte bei weitem zu kurz gegriffen. Denn die Genannten haben entweder Jesus verlassen oder verraten, oder sie sind gewandelt und geläutert worden. Denn die dort am Berg bei ihm gestanden sind, die haben sich ja bereits ganz auf ihn eingelassen. Für die war Jesus nicht mehr Sonntagsprediger, der eine gute Stimmung verbreitet, so daß man getrost mit gehobenem Herzen an den Sonntagstisch kehren und den Nachmittag mit der Familie genießen kann. Sondern Jesus nachfolgen kostet etwas. Verlangt Risiko. Fordert Mut und Totaleinsatz. Und beinhaltet Scheitern. Vielleicht beginnt es gerade beim Scheitern. Beim Begraben der eigenen Vorstellungen von einem guten Leben, wie damals am Ufer des Sees. Bei der totalen Niederlage unter dem Kreuz. Keine Ausreden mehr.

Und jetzt wird allmählich deutlich, warum die Männer noch immer am Berg stehen und Jesus nachblicken. Es ist nicht, dass sie um Jesus Angst hätten, dass sie sich Sorgen machten wegen ihm. Sondern es ist die Ratlosigkeit, wie sie in einer unchristlichen Welt eben diesen Christus bezeugen sollten. Es ist die Überforderung, auf sich selbst gestellt Jesu Gleichnisse anwenden zu müssen. Es ist das Zurückschrecken davor, nun heimzukehren und vor fragenden Gesichtern dafür einzustehen, was ein Leben in der Nachfolge Jesu ist. Verbindlich. Eindeutig. Wie werden sie herunterkommen von diesem Berg. Mit Jesus sind sie ihn hinaufgestiegen.

In diesem ihrem Zögern liegt bereits vorab die ganze Erkenntnis Jesu, des Heilands, des Erlösers, des Menschensohnes, des Gottessohnes. Der angebrochenen Gottesherrschaft inmitten der Welt. Nämlich dass man diesen Gott nicht aus eigenem verkünden kann. Das nur er selbst für sich sprechen kann. Und das auch tut. Jenseits von Wahrscheinlichkeiten und Mehrheitsbeschlüssen.

Im Zögern der Männer von Galiläa liegen die Millionen von Fragen, die sich den Menschen stellen werden, und zu deren verbindlicher Beantwortung sie einen Beistand nötig haben: Ob es richtig ist, Menschen nach ihrer Produktivität u beurteilen. Ob es angeht, dass die Mehrzahl der Menschen in Armut lebt und Hunger leidet, und wie sich dabei die Reichen rechtfertigen werden. Wieviele Schätze man der Mutter Erde entreißen darf, um jeden Meter mit dem Auto fahren zu können. Was den einzelnen die Reinheit der Luft und das Weltklima angeht. Wie Gerechtigkeit sein kann, wenn nicht alle gleich gelten vor dem selben Gott. Ob der Mensch nach den Sternen greifen soll oder im Labor Pflanzen, Tiere und Menschen produzieren, ob das für Menschen nötig ist und ihnen gut tut.

Wie eine Menschheit, die sich selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen im Begriff ist, einen Anker im Glauben haben kann. Wo doch gerade diese Menschheit versucht, die Brücken hinter sich abzureißen: darauf eine Antwort. Wie werden die Jünger darauf richtige Antworten finden ohne Christus, den menschgewordenen Gott. Deshalb zögern sie, ihn gehen zu lassen. Denn sie wissen, dass er Antworten hat – dass er selbst überhaupt die Antwort IST: Christus, der wahre Mensch, der gültige, verbindliche Mensch, der Mensch, so wie er bei der Schöpfung von Gott gemeint war.
Jesus Christus, der letzte Mensch.

Und der erste. Laßt ihn nicht aus den Augen.

Sonntag, 13. April 2008

1. letzte menschen

„Er hat nichts, wofür er lebt. es lebt um ihn herum“, beschreibt Tobias Moretti den von ihm dargestellten Polizisten Thomas Dorn: „ein prototypischer, heutiger, überforderter Mensch, der in einem Vakuum lebt“, zu sehen in „Das Jüngste Gericht“, Regie Urs Egger. Die Kommissare werden auch immer menschlicher, keine Weisen mehr, unbestechlich, schlau, sondern behaftet mit privaten Problemen wie du und ich.
Aus den Bergen des hohen Geistes kam einst Zarathustra in die Stadt herunter, um die Menschen den Übergang zu lehren, und bei ihrem Stolz spricht er sie an: So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist d e r l e t z t e M e n s c h. .... Seht! Ich zeige euch d e n l e t z t e n M e n s c h e n. „Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?“ – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.

Dieser letzte Mensch begegnet in seiner Überforderung. Er lebt einigermaßen bequem und hat keine großen Ziele, nichts, was ihn wahrhaft herausfordern würde, nichts, wofür zu kämpfen sich lohnt. Immerhin, ein Kommissar erhebt sich aus der Gleichmäßigkeit, beginnt zu forschen und zu fragen: aber wird dieser letzte Mensch vor den großen Herausforderungen bestehen können? Das Jüngste Gericht, die letzte, größte, umfassendste Infragestellung des Menschen, seiner Taten und Ziele. Aber Zarathustra sieht den letzten Menschen blinzeln: er lacht ihn aus, er nimmt ihn nicht ernst, er verweigert die Begegnung. Der letzte Mensch ist der verachtete und verächtliche Mensch.

Siehe/Höre: https://www.youtube.com/watch?v=dbI5K0AzNHI

2. haushofer, die wand, roman

Hugo und Luise werden als etwas eigenwilliges Paar beschrieben, mit ihren jeweiligen Marotten, aber durchaus freundlich: "Wie es so geht, im Umgang mit Hypochondern, hatten wir seine Zustände nicht mehr ernst genommen", beschreibt die Verlassene ihre Sorge um den nicht aus dem Dorf zurückgekehrten Jagdhausbesitzer, und "Luise liebte den Umgang mit Holzknechten und Bauernburschen, und es kam ihr nie in den Sinn, daß die verschlagenen Gesellen heimlich über sie lachen könnten" sieht sie ihre Kusine kritisch: die aussichtslose Anbiederung, das Dazugehörenwollen, das Publikumbrauchen als ebenso verzeihliche Schwäche wie die Jagd des vermögenden Gatten, der das Anwesen seiner Stellung zu schulden meint, obwohl er ein schlechter Schütze ist und nichts trifft. Diese beiden Eigenschaften dürften die beiden das Leben gekostet haben, sie kehren nie mehr aus dem Dorf zurück.
Noch etwas zum Rückblick auf die beiden: Ist es schon ausreichend bedacht worden, in welch großem Ausmaß sich die Erzählerin den beiden verdankt? Gerade ihre Eigenarten sind es, die ihr das Überleben ermöglichen, der gut dressierte Jagdhund, das Jagdhaus im Bergwald, die Jagd selbst, und die vom überängstlichen Besitzer mit Sammlerleidenschaft überreich eingelagerten Vorräte, denn es wurde immer über Atomkriege geredet damals. Gute Erinnerung also, und die Frau hatte sich den beiden ja aus eigenen Stücken angeschlossen, hatte ihren Umgang gesucht, wenn auch nicht aus inniger Übereinstimmung, so doch in loser Verwandtschaft und freundlicher Distanz. Kaum gedacht wird der beiden fast schon erwachsenen Töchter, außer dass sie der Mutter schon ein Maß an Freiheit und Unabhängigkeit zugestünden, und gar nicht des früheren Mannes. Dafür tauchen manchmal Kindheitserfahrungen auf aus der Landwirtschaft, die nun zum Überleben wichtig werden.
Aber alle diese sind nicht die letzten Menschen, die von der Frau zurückgelassen werden: ganz unerwartet erscheint der letzte Mensch und bringt nur Verderben, und verdient nichts als eine Kugel, keine Fragen, kein Verständigungsversuch, keine Erklärung. Und dieser erst offenbart mir die ganze Sinnlage dieses Abschieds. Kunst, Kultur, Literatur, Gesellschaft, Staat, Sinn werden mit einem Wisch weggefegt und nicht vermißt. Die Menschen gehen nicht ab. Man kann, wenn auch mühsam, unter Aufbietung aller Kräfte und Fähigkeiten, allein existieren. Eigentlich gut so. Und die Frage nach dem Hereinbrechen des Verhängnisses wird gar nicht gestellt. Der Forschungsdrang nach der Wand hält sich in Grenzen. Keine Frage nach dem Verbleib der Menschen, kein Gedanke an Tote, an Leichen, an Todesursachen. Eine vage Vorstellung von einer Kriegswaffe als Ursache des Verhängnisses, der nicht nachgegangen wird und die auch nicht korrigiert wird, als sie offensichtlich nicht zutreffen kann. Der allerletzte Mensch läßt den vorletzten ungerührt liegen und interessiert sich nicht für das Verhängnis. Und niemals fragt er: warum ich, warum gerade ich. Da scheint ein stillschweigendes Einverständnis vorzuliegen. Gut so, ich bin ja da, und eine Weile kann ich überleben. Und die anderen, die Verschwundenen: etwas hat sie weggenommen, das nicht verstehbar ist, und damit kann man einverstanden sein. Man muß es nicht rechtfertigen, sie wurden nicht ermordet, sie scheinen etwas lästig gewesen zu sein, das frühere Zusammensein erscheint immer irgendwie verhalten und angestrengt, keine Erinnerung an Einverständnis und Glück: ob nicht dieser allein auf sich gestellte Überlebenskampf eine Erleichterung ist, gar ein erfüllter Wunsch – ganz auf die vertraute und berechenbare Natur verwiesen, Tiere als dankbare Partner, verstehbar, einschätzbar, und dass sie nicht sprechen/ keine Fragen stellen, muß kein Nachteil sein.
Also doch einverstanden mit dem Ende des Menschen – es scheint eine neue Dimension des Menschlichen zu eröffnen: Fürsorge für solche, die nicht zurückgeben können.
Was offen bleibt bei diesem geheimen Einverständnis: warum wird nicht nach diesem absurden Schicksal gefragt? Etwa aus Vorsicht, die eigenen Wünsche zu deklarieren?
Ein Menschenende als Erleichterung und Trotz wegen der Fremdheit.

3. glavinic, die arbeit der nacht, roman

Noch harmloser beginnt das Menschenende für Jonas. Ein Montag Morgen, Frühstück, der Weg zur Arbeit. Doch auch ihm gehen nicht sogleich die Menschen ab, zuerst kein Radio, kein Internet, kein Fernsehen, keine Zeitung, keine Telefonverbindung. Aber bald werden Menschen gesucht: Marie, der Vater, die Arbeitskollegen. Stattdessen leere Straßen in Wien, keine Passanten, kein Verkehr, nichts regt sich, sogar die Vögel scheinen anfangs verstummt. Auch Jonas fragt und forscht nicht nach den Ursachen – aber er nimmt das Fehlen der Menschheit nicht sogleich als gegeben hin. Zwei Impulse treiben ihn durch die entleerte Welt seit diesem Tag: Kontakt aufzunehmen mit Überlebenden, und sich seiner selbst zu vergewissern. Der Überlebenskampf fällt ihm leicht: die verschwundenen Menschen haben Autos und Lebensmittel hinterlassen, und die Stromversorgung scheint irgendwie von selbst zu laufen im Lande der Wasserkraft (die Atomkraftwerke in England erscheinen glücklicherweise nicht im Fokus der Geschichte). Aber Jonas ist auf all seinen Vergewisserungsreisen ständig beschäftigt, Zettel mit Nachrichten und seiner Telefonnummer zu hinterlassen. Und er bildet eine seltsame Marotte aus, überall Videogeräte zu postieren, die ihn selbst aufnehmen, und unter Aufwand aller Kräfte sieht er sich immer wieder die Bänder an, auf denen er selbst durch die nun leere Welt irrt: Selbstvergewisserung ohne Du.
Immerhin: Jonas sucht nach Menschen, nach dem Vater und seinen Spuren, nach Marie, seiner Freundin, die im Ausland war, und nach sich selbst. Mysteriöse Zeichen einer geheimen Anwesenheit entdeckt er, in der Wand eingemauert, unbewußte Regungen im Schlaf , ohne Kontrolle, aber gefilmt.
Die Begegnungen mit der Natur sind krisenhaft, das Wetter, die Orientierung im Wald, das Zeitgefühl sind unverläßlich und unerprobt. Jonas fühlt sich der Natur nicht gewachsen, hier ist er fremd. Nah sind ihm seine Erinnerungen, die vertrauten Orte mit Spuren von Gemeinsamkeit oder von sich selbst. Jonas hilft sich mit Technik, mit Autos und Supermärkten. Und in einem fort schreit er ins leere All hinaus: ich bin da, ich bin da!
Wie vor der Wand gibt es kein Fragen, kein Nachfragen. Kann man fragen nur mit einem Gegenüber? Gibt es keine Sinnsuche eines Einzelnen? Nimmt der Mensch seine Einsamkeit als gegeben, ohne zu rebellieren?
Aber es gibt ein Suchen, einen verzweifelten Kampf, wieder besseres Wissen doch noch zu entrinnen einem unerbittlichen, unverstandenen Schicksal, und sich zu retten zu dem einzigen Menschen, zu Marie, und das gar nicht wegen der besonders guten und verständnisvollen Beziehung, sondern eher als Wiedergutmachungsversuch.
Zuletzt das Fallen, nun wie ein Einverständnis mit einem unbegreiflichen Verhängnis, das Fallen aus der Zeit, deren Dimensionen von Menschenleben und Zeitaltern, von Geschichte und Halbwertszeiten des radioaktiven Mülls, und somit auch ein Fallen aus der Verantwortung, die dem Menschen zu groß geworden war, als dass er sie noch tragen hätte können, und somit etwas wie ein Zurückfallen zu dem, wo es eigentlich hingehört nach seiner Bestimmung, nach einer ungerechtfertigten Selbstermächtigung.
Also wiederum ein Einverständnis mit dem Verschwinden des Menschen.

4. clarke, die letzte generation, roman

Wenn über den großen Städten der Erde stumm Raumschiffe erscheinen, so mag das heutigen Cineasten bekannt vorkommen. Wenn von ihnen aber nicht Vernichtung ausgeht, sondern vorsichtige und höfliche Mahnungen und Weisungen, was das Geschick der Menschheit betrifft, in akzentfreiem Englisch, so mag der Leser an einen Bluff denken. Wenn aber dann Krieg und Hunger, Not und Ungerechtigkeit nach und nach verschwinden, sich die Overlords aber erst nach 50 Jahren zeigen wollen, so liegt der Geschichte doch ein großer außerirdischer Plan zugrunde. Zwar muß zugegeben werden: die Overlords ersetzen bald jede Religion durch moderne Wissenschaft und Technik. Aber die Bereitschaft der Menschen zu Unterwerfung nehmen diese Fremden, die nun das Geschick der Erde lenken, gerne an. Und die penetrante Zurückhaltung der Erscheinung der Fremden scheint weniger auf die fehlende Reife der Menschen, als auf ihre Lächerlichkeit zurückzuführen sein: wie große, den Menschen weit überragende apokalyptische Engel mit Flügel, die aus der Nähe säuerlich riechen und das Sonnenlicht nicht gut vertragen.
Zwei bescheidene Rebellionen der Menschen gibt es, welche die Overlords zwar überraschen, aber dann mit Nachsicht quittiert werden: der Raumfahrer, der sich in eines ihrer Versorgungsschiffe einschleust und so auf ihren Heimatplaneten kommt (ein insgesamt in seiner Beiläufigkeit enttäuschendes Erlebnis), und die Inselkolonie, die sich selbst steuern und verwalten will, ein letztes Aufbäumen von Selbständigkeit und eigener Vernunft. Und gerade diese wird auf ungeahnte Weise frei gesetzt und offenbart zuletzt nun doch ein Jenseits, eine Dimension, auf welche die Overlords keinen Zugriff haben und vor der sie sich bescheiden. Die Offenbarung dieses Neuen wird zwar mit der Sprache der Science Fiction ertastet, aber es ist ein Gestammel. Die fremde, überlegene Intelligenz zieht sich zurück, aber der Mensch – freilich ein neuer, transformierter Mensch – ist der Eintrittsort dieses Neuen: im Menschen inkarniert es, während die Sterne vom Himmel fallen und die letzte Generation verschwunden ist in blasser Zeugenschaft. Eine wahrhaft apokalyptische Vision in der gesamten Bilderfülle des letzten Buchs der Bibel. Und nun doch ein ungenanntes Jenseits und ein Zusichkommen der gesamten Schöpfung.
Eine Erlösung? Fragt sich, für wen.

5. blanchot, der letzte mensch, erzählung

Im Zeichen des Paradoxes, steht im Klappentext. Was das bedeuten soll. Und so pflügt sich der Leser durch die Seiten, tastet sich, tastet nach Erzählung, nach Tatsachen und Vorfällen, nach Handlung, nach Eindeutigem. Kaum eine Aussage, der nicht sogleich widersprochen wird, kaum ein Satz, der so stehen bleiben kann – wiewohl doch viele Sätze da sind, und große.
Nun gut, drei Personen, der Erzähler, eine Frau, mit der er in besondere Beziehungen trat, und einer, der Professor genannt wird. Und man kann es nur so sagen: er tritt in Erscheinung, nach und nach. Und auf welche Art:

“Ich habe mich davon überzeugt, ihn zuerst tot, dann sterbend gekannt zu haben.” Sein Erscheinen ist ein unaufhörlicher Vorbeigang, “Ich gehe an seinem Zimmer vorbei”, “sein Schritt hat mich nie getäuscht”, “kommt er noch? geht er schon?”; er ist ein “so entsetzlich wenig schuldiges Geschöpf”, “immer unfehlbar”, “Man mußte ihn in einen Fehler locken”, “Er hat mir Gefühl gegeben für die Ewigkeit, für ein Wesen, das keiner Rechtfertigung bedürfte. Ich stelle mir letztlich einen Gott vor” -
Also darf einmal angenommen werden, es handle sich hier um eine Christus-Manifestation. Das Erkennen Christi, von der Begegnung mit dem Auferstandenen zurück blickend, die nachösterliche Perspektive auf sein irdisches Leben. Der Vorbeigang Gottes an den bezeichneten Häusern der Israeliten in Ägypten, dann hinter Mose am Berg Sinai, und nun der immerwährende Vorbeigang des Auferstandenen, der nicht festzuhalten ist, und auch sein Vorbeigang in den Gleichnissen, die eine fremde Wahrheit sagen in vertrauten Worten: “Nackte Worte, denen ich wegen meines Nichtwissens ausgeliefert bin.” “Er hat sie in einem bestimmten Augenblick in mir, zweifellos auch in vielen anderen abgelegt, und dieses monströse Gedächtnis müssen wir gemeinsam tragen bis zu der Transformation, von der uns nur ein Ende befreien wird” - Oder soll bei dem Gedächtnis nicht viel eher an die Abendmahlsworte gedacht werden, an Christi Testament und Vermächtnis, wo doch erzählt wird, wie “er seine Mahlzeiten mit den anderen einnahm. Er schien nicht viel kränker, vielleicht bedrohter, aber auf eine Art, die ihn nicht selber betraf.”
Jedenfalls deutlich die lebensspendende Wirkung, die von ihm ausgeht: “Er schien in mir Wegmarken aufzurichten: Sätze”, und so “fühlten wir uns wie mit vermehrter Existenz ausgerüstet, um uns selber angereichert, angereichert um das, was wir sein konnten, ja stärker, gefährlicher, böser und ganz in der Nähe eines Traums exzessiver Macht.”
Wenn ich an Gleichnisse gedacht habe, dann wegen des sich still öffnenden geheimen Raumes, der im Laufe des Textes immer stärker hervortritt. “Ich hatte manchmal, während seiner Worte, einen schnellen Wechsel der Sprechebene bemerkt. Was er sagte, wechselte die Richtung, richtete sich nicht mehr an uns, sondern an ihn, an einen anderen als ihn, an einen anderen Raum”. Es könnte auch ein Gebet gewesen sein. Dann das Gefühl, dort unten “gebe es eine Öffnung auf eine andere Gegend hinaus”: “Der Raum war fliehend, schlau, erschrocken. Vielleicht hatte er kein Zentrum, darum desorientierte er mich durch Flucht, durch List, durch Versuchung. Er entzog sich,; er entzog sich unaufhörlich”. Und immer deutlicher tritt ein Zustand hervor: “Die Art von Trunkenheit” “kam von diesem „Wir“, das aus mir strömte”, ein “Gefühl unendlichen Glücks”, wie ein “Berg, der sich schwindelerregend hoch von Universum zu Universum erhebt. Nie ein Halt, keine Grenze, eine immer trunkenere und immer ruhigere Trunkenheit. ‚Wir’“

Wer dieser letzte Mensch ist? Es muß der sein, der das Menschsein insgesamt angenommen hat und ihm damit eine Richtung gibt, einen Sinn, eine Erfüllung. Und die Menschen damit in ungeahnter Weise freisetzt zu einem Glück der unaufhörlichen Bejahung. Und es hat die Einsamkeit des Menschen, die vielleicht immer stärker hervortritt in seiner Verlorenheit, eine Antwort bekommen in einem Wir, einer mythischen Gemeinschaft: darum nämlich ist er der letzte Mensch. Mehr ist nicht zu erwarten.

Montag, 7. April 2008

der letzte mensch

Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen.

``Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern'' - so fragt der letzte Mensch und blinzelt.

Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.

``Wir haben das Glück erfunden'' - sagen die letzten Menschen und blinzeln.

Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Wärme.

Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!

Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.

Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt dass die Unterhaltung nicht angreife.

Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.

Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.

``Ehemals war alle Welt irre'' - sagen die Feinsten und blinzeln.

Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald - sonst verdirbt es den Magen.

Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.

``Wir haben das Glück erfunden'' - sagen die letzten Menschen und blinzeln -





Und jetzt das SEMINAR dazu:
Man nehme vom Stoff einiger Online-Texte (oder anderer) und formuliere Kommentare:
www.uni-muenster.de/PeaCon/global-texte/ g-notes/Jaeger-LetzterMensch-Freitag39.htm - 22k
https://www.engeler.de/mensch.html
https://www.rosalux.de/cms/index.php?id=4090
https://www.amorkratie.de/der_letzte_mensch.htm
https://www.feministische-sf.de/einzelne_romane/fsf_verney-der-letzte-mensch.html
Literatur:
Nietzsche, Also sprach Zarathustra
Blanchot, Der letzte Mensch
Orwell, 1984
Clarke, Die letzte Generation
Haushofer, Die Wand
Glavinic, Die Arbeit der Nacht

Sonntag, 20. Januar 2008

Unsere Romanfiguren

Schon längst sollte einmal geschrieben werden oder vielmehr gefragt, warum die jetzigen deutschsprachigen Romane von sovielen verkehrten Helden bevölkert werden:

sie sind nicht Herr ihres Lebens
sie treiben und können/wollen nicht steuern
sie beobachten, anstatt zu handeln
sie erleiden hilflos, manchmal heldenhaft
sie sind entweder angepasst wider besseres Wissen,
oder irgendeinem Zwang ausgeliefert, wie Ja'ara in Zeruya Shalevs Liebesleben,
oder wie diese immerfort wartend auf Zeichen und rätselnd über die Bedeutung der Orakel/

Ich denke dabei an Alois Hotschnig, Georg Klein, Werner Kofler, Gerhard Roth, Thomas Glavinic, Norbert Gstrein habe ich sogar selbst danach gefragt, er wich aus,
aber auch türkische Autoren wie Özdamer oder Ferit Edgü, oder die Albaner Fatos Kongoli oder Ornela Vorpsi.
Oder Juli Zeh.

Hat sich der Mensch verändert?

Aber dann Daniel Glattauer, Darum.
Diesen umgekehrten Krimi.
Gut, Krimis sind ohnehin ausgenommen: Komissare können zwar krank, zynisch, ehe- oder sonstwie belastet sein, aber steuern müssen sie dennoch. Trotz der Zufälle.
Aber DIESER umgekehrte Krimi/ ich versuche, trotz meiner Leseleidenschaft nichts von der Handlung zu verraten/ zeigt eine Figur, die steuert UND steuert nicht. Und das ist gerade das Thema.

Zweitens das Selbstverhältnis. Eine Person, die mit sich selbst nicht im Reinen ist. Der Leser forscht, warum. Warum wird seit Freud und Kafka immer alles Wesentliche verdrängt und verschwiegen.

Und daraus ergibt sich drittens das schiefe Verhältnis zur Wahrheit. Diese Figur, Jan Haigerer, die zuerst aussieht wie ein Versager, unzufrieden, von der Geliebten verlassen, zynisch, sich kommentierend von allem und allen distanzierend: aber Jan selbst ist der ihm entgegengebrachten Zuneigung nicht gewachsen, verschweigt, entzieht sich.

Das Ende mag ein gewisser Beitag zur Wahrheitsfrage sein. Aber die anderen Fragen bleiben.
Wie ist denn inzwischen der Mensch geworden?
Erklärt mir das

Donnerstag, 17. Januar 2008

Sauber oder rein. Nachrichten von der Schwelle

In einem Jahrhundert, wo die europäische Menschheit die Größe und Pracht der Erde entdeckt hatte – und zugleich unermeßliches Elend in der neuen Welt auslöste; in einem Jahrhundert, wo die Bewegungen der Gestirne auf einmal zugänglich wurde mit neuen Instrumenten, in einem solchen, wo das Denken und Vorstellen des Menschen nun selbst zur Grundlage jeglicher Gewißheit werden sollte, und in demselben Jahrhundert, wo nicht mehr nur zwischen Kaiser und Papst, sondern noch viel tiefer in der Kirche selbst ein Spalt aufzureißen begann, von dem sie sich bis heute noch nicht erholt hat: gerade in dieser vielleicht noch mehr als heute bewegten Zeit ungeahnter Aufbrüche lebte eine Frau in einer Zelle und stellte sich ihrem eigenen Inneren, wie es bis dahin noch niemand gewagt hat.
Eine Burg nennt Teresa die Seele, die mächtig und schön auf dem Berg steht, aus vielen Gemächern, die alle um eine (noch verborgene) Mitte herum gelagert sind, als Raum, der bewohnt, belebt sein will, nach einer noch geheimnisvollen Ordnung, die man von außen nicht versteht. In der Mitte wird der König wohnen, und von seiner Macht bekommt die ganze Burg ihre Schönheit und Bedeutung. Die Seelenburg sei eine Wohnung wie das Paradies, wo Mensch und Gott ungezwungen miteinander wohnen, neben allem, was zum Glück nötig ist, im Überfluß.

Verzagte nennt Teresa solche, die nur von außen auf die Burg schauen wollen, oder Feiglinge, wenn sie keine Neugier und Lust haben, hineinzugehen und ihre Schätze suchen; sich mit den hohen Mauern begnügen wäre soviel wie in einem toten Körper leben oder in einer anderen Äußerlichkeit, wie sie sich dem bloßen Augenschein darbietet. Wem genügt es, wenn er von dem Glück nur ahnt, wie drinnen große Dinge vorgehen zwischen Gott und Mensch, draußen im Burggraben zu hausen zwischen Ungeziefer, oder unter der Brücke? Der Eingang aber, sagt Teresa, ist das Gebet. Und nicht nur ein dahergesagtes, denn ohne Aufmerksamkeit und Achtung, mit wem man redet und worum man bittet, sei kein Gebet.

Ohne Andacht einzutreten wäre, als würde ein Mensch viel Schmutz und Ungeziefer hereinbringen, und wäre dann immerfort von seinen Geschäften gefesselt, in denen seine Gedanken wieder untergehen, ohne die Schönheit der Burg überhaupt zu bemerken. Davon solle man sich frei machen, indem man an das Innere denkt, an die Mitte, in der Gott selbst wohnt wie der König, und uns erwartet mit seinem unermeßlichen Reichtum. Erst der Blick auf dieses Hohe zeige die eigene Niedrigkeit, mit der man sich begnügt habe, die Begegnung mit diesem Großen erst erhebe den Menschen aus seiner Ängstlichkeit, immer darauf zu lauern, was andere über ihn sagten. Von dieser äußeren ersten Wohnung heißt es, es sei die gefährlichste: die meisten Ausreden gäbe es hier, 1000 Vorwände, sich doch mit dem Gewöhnlichen und Geringen abzufinden, - und zwar, weil alle Gedanken und Sorgen mit hereingekommen seien, um Besitz und Ansehen, Leistung und Erfolg, und uns noch immer in Besitz haben. Von Helligkeit und Glanz des Schlosses sei hier noch kaum etwas zu bemerken, und der Eintretende wäre noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um von dem Licht etwas zu sehen, das von Gottes Wohnung in der Mitte ausstrahlt.

Über diese Schwelle zu kommen, brauche eine gewisse Hartnäckigkeit, mahnt Teresa ihre Mitschwestern, ein ehrliches Glaubensleben, das selbstkritisch die Ausreden durchschaut, ein ringendes Gebet, eine liebende Aufmerksamkeit für die anderen und ein starkes Vertrauen in Christus, der uns in unsere eigene Mitte führt. Regelmäßige Eucharistiefeier, gemeinsames Gebet, und Meditieren der heiligen Schrift wären Hilfen, um an der Schwelle zu bestehen, weil durch diese Hilfen Christus uns schon von der Mitte kündete und uns auf die Spur brächte, damit wir uns nicht mehr vertreiben ließen aus seiner Nähe.

Über die Schwelle zu kommen und einzutreten
ruft Teresa in unser neues Aufbruchjahrhundert hinein
uns Ängstlichen, Kleinen, Genügsamen der Seele
dass wir aufmerken und hungrig werden und unruhig

Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin

Gal 2, 2

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