Faust und das metaphysische Mißverständnis

Es ist Unverstand, wenn behauptet wird, diese brillante Faust-Verfilmung sei nicht metaphysisch, weil sie das Irdische so betone. Als wäre Metaphysik die Behauptung einer nichtirdischen Welt. Stattdessen ist Metaphysik die Frage! Und der Film beginnt bereits mit der Frage: Wo ist die Seele? Im Kopf, im Bauch, in den Füßen? Schließlich: Gibt es überhaupt eine Seele?
Christina Nord schreibt im Standart, der Regisseur wolle von den großen Fragen von Gut und Böse, Gott und Teufel nichts wissen, sondern interessiere sich nur für komische Gesten. Ich würde sagen: Christina Nord interessiert sich für nichts anderes, oder man kann im Standart nichts anderes schreiben. Christoph Huber schreibt in der Presse immerhin von der Beschwörung des Irdischen, aber auch er sieht im Film eine Abwendung vom Metaphysischen.
Dazu nun eine Klärung: Metaphysik ist primär ein Fragen und Suchen. Natürlich geht sie vom Konkreten aus, aber die Frage- und Suchbewegung geht ins Prinzipielle, Grundsätzliche, Allgemeine. Letztlich in die Frage nach dem Sein. Und der Film handelt von Anfang an beinahe von nichts anderem. Zuerst der Blick vom Himmel auf die Erde, der der folgenden Geschichte Rahmen und Horizont gibt. Ganz am Ende erst wird der offene Himmel wieder sichtbar, als Faust durch das unirdische Jenseitsland stapft, und nunmehr die Frage mit der eigenen Person verkörpert: Hat er den Satan besiegt? Lebt er? Versteht er? (Die genannten Interpreten haben den Rahmen nicht beachtet!) Die Frage nach der Seele wird anfangs, im Wühlen im Leichnam, gestellt und zugleich ironisiert, dann vorläufig beantwortet mit Ja und Nein, durch die Vorstellung des reinen Materialismus, durch die Begegnung mit dem jenseitigen Wucherer, durch den Verkauf der eigenen Seele, durch die Frage nach Gretchens Seele. Die Frage nach Gott wird von Faust zuweilen abschlägig beantwortet. Aber was ist sein Wüten anderes als ein Aufbegehren gegen Gott? Und mehr noch bei Wucherer, der eigens eine Kirche sucht, um die Notdurft zu verrichten! Gebe es Gott nicht, gegen wen rebellierten dann die beiden, mit dem Einsatz all ihrer Kräfte?
Andererseits handelt der Film weniger vom fragenden und suchenden Doktor Faust, unterwegs nach den Grundprinzipien, die die Welt zusammenhalten. Sondern von einem, der diese offenen Fragen nicht mehr aushält, und sich Schritt um Schritt von ihnen abwendet – und seinem ganz irdischen egoistischen Begehren nach Gretchen zuwendet. „Die Wissenschaft besagt, dass der Tod existiert“, doziert er ihr altklug, und hat sich längst als unwissend entblößt. Der Gehilfe Wagner bleibt bei der Wissenschaft und bringt den Homunculus hervor. Wucherer selbst distanziert sich von Fausts Begehren. Aber Faust vergräbt sich. Das ergibt die Ästhetik des Films, der immer tiefer in die Enge führt, in Gänge und Gassen, Gedränge und Finsternis. Satan, das ist der Ankläger und Versucher, der Widersacher. Dämonenhaft herrscht die skurrile Figur des Wucherer in den stinkenden Gassen. Entsetzen befällt den Betrachter, man will weg, heraus aus der Enge, und sieht stattdessen Faust in immer schlimmeren Verrenkungen mit diesem verstrickt, und als endlich ein Lauf durch die Gassen ein Abrücken, eine Flucht sein könnte, da ist es längst zu spät. Was für Faust der Höhepunkt sein sollte, seine Nacht mit Gretchen, das wird doch nichts anderes als ein Hantieren mit einem Körper ohne Leben, also wieder mit einem Leichnam. Und wenn er schließlich doch, nach der Steinigung des Satan, in die Weite aufbricht: Da ist nichts mehr, was zu entscheiden wäre. Da ist Faust mit sich selbst allein in einer leeren, öden Welt. Ist er da noch? Das ist wohl metaphysische Metapher genug für ein Zukunftsbild des heutigen Menschen und seiner Hybris. Als Metaphysik von der Abwendung vom Metaphysischen.

REGIE: Alexander Sokurow
Darsteller:
Faust: Johannes Zeiler
Wagner: Georg Friedrich
Wucherer (Mephistopheles): Anton Adasinsky
Gretchen: Isolda Dychauk

Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin

Gal 2, 2

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