Kinder, Schuld und System

Kinder sind nicht immer unschuldig.
Ich kenne da ein paar Kommandierer, die immer recht haben und alles können. (Denn auf was anderes lassen sie sich nicht ein.)
Und sie können ganz schön gemein sein zu anderen Kindern – Mobbying könnten sich Erwachsene von ihnen abgeschaut haben, wie vieles andere.

Aber am Zustand der Welt sind sie nicht schuld. Dass außerhalb der westlichen Welt die meisten Kinder arbeiten müssen, um zum Familieneinkommen beizutragen. Als Schuhputzer oder Angler, als Dosensammler oder Botenträger, sie knüpfen Teppiche, nähen Turnschuhe oder schuften auf Baumwollplantagen. Bei Fabriksbesitzern sind Kinder beliebt: sie sind leicht einzuschüchtern, sie protestieren nicht, sie organisieren sich nicht und können sich auch körperlich nicht wehren. Und weil sie keine Schule besuchen können, werden sie es später auch nicht besser machen. Kinder als Prostituierte oder Soldaten im Sold Erwachsener: So haben die Mächtigen auch die Zukunft im Griff, die sie den anderen stehlen.

Auch an den zerbrochenen Beziehungen sind sie nicht schuld. Bei der Erstbeichte weinte ein Mädchen, weil es sich schuldig fühlte am Streit der Eltern. Die Hälfte meiner Schulkinder hat keinen Vater zu Hause, aber eine für alles zuständige Mutter. Das Auseinandergehen ist für sie normal, wie eine Lösung. Sie lernen, mit dem Nachmittag zurecht zu kommen, wo sie alleine sind, sie vertreiben sich die Zeit, wärmen das Essen, machen Aufgaben, lernen und spielen am Computer. Aber partnerschaftlich leben lernen sie nicht. Die Statistik sagt, ihre späteren Partnerschaften werden wenig Chancen haben auf Stabilität. Ihre Schuld?

In der Schule wird etwas verlangt von den Kindern. Eigentlich lernen sie gerne, weil sie neugierig sind. Das könnten sich Erwachsene abschauen. Aber nicht immer gerade nach Stundenplan. Man ist auch neugierig auf den Nachmittag oder den neuen Mitschüler. Aber man darf nicht immer alles zeigen, was man möchte. In der Schule gelten andere Regeln. Anpassung. Leistung. Alles ist ein Wettkampf. Immer besser sein als andere. Niemals abschauen oder zusammenarbeiten. Statt dem abstrakten Geld gibt es abstrakte Noten. (Beim Ministrieren gibt es anstelle der Freude, an der Messe aktiv teilzunehmen mit einem wichtigen Dienst, GELD – so wird den Kindern die ursprüngliche Motivation ausgetrieben.) Ein Schüler ist so gut wie seine Noten. Was nicht benotet wird, zählt nicht. Z.B. Spontaneität. Kreativität. Zusammenarbeit. Wir Lehrer machen klar, worum es geht. Hoffentlich können alle ihre Wertentscheidungen begründen und rechtfertigen.

Und Kinder stören. Sie stören prinzipiell. Denn sie durchkreuzen stets die Machenschaften der Erwachsenen. Sie stören die Ehescheidungen, die Alleingänge Erwachsener, weil sie nachfragen und sich nicht begnügen. Sie stören, indem sie die Ungeduld der Eltern spiegeln, oder ihre fehlende Ordnung. An ihnen fühlen Eltern sich schuldig, weil ihnen ihre Grenzen gezeigt werden. Sie stören durch ihre Fragen, durch ihren Bewegungsdrang und durch ihre Unangepasstheit – vorerst. Kinder werden gesellschaftlich ebenso störend empfunden wie Ausländer, Behinderte und alte Menschen. Sie sind der eigenen Ausbreitung und ungestörten Verwirklichung im Weg. Dafür ist Herodes Zeuge. Deshalb kommen Kinder kaum mehr vor. Die Mittel, ihre Entstehung zu unterdrücken, werden immer feiner. Auch die Umgebung ist immer weniger für sie bereit, Berufsleben, Partnerschaften und Familien, Häuser und Freizeitpläne. Seit 1975 wurden wahrscheinlich an die 2 Millionen Menschen nicht geboren. Darunter vielleicht Nobelpreisträger, Wissenschaftler, Politiker, Komponisten, Ärzte und Erzieher. Und viele Priester für die Gemeinden. Und seit den Möglichkeiten der Diagnose werden kaum mehr behinderte Menschen geboren. Wäre für die Eltern unzumutbar. Damit die Gesellschaft immer normaler wird. Immer mehr so wie wir selbst. Bequem, selbstzufrieden und angepasst. Normal und deutschsprachig.

Das hat System. Störungen werden beseitigt, Normalität wird hergestellt. Alles nach Plan, bewusst oder nicht, aber weitreichend. Systeme schaffen Komfort, aber keine Vitalität. Autobahnen werden auf Kosten von Vitalität gebaut und benutzt: schauen Sie nur die Pannenstreifen an, welche Kreaturen da haufenweise dem System zum Opfer fallen. Und beobachten Sie die Kinder im Fond, nach längerer Fahrt. Beschweren Sie sich nicht über die LKWs, Sie kaufen ja auch die spanischen Tomaten im Winter. Wenn Sie italienische Schuhe bevorzugen, dann sperren die heimischen Fabriken eben, so ist das System. Für all das können Kinder nichts. Wer ist es denn, der die Naschereien in der Warteschlange vor der Kassa in Augenhöhe platziert? Und so kann wenigstens diesmal einer Störung abgeholfen werden mit ein paar Euro.

10 x war Herodes verheiratet, wenigstens 15 Kinder, davon ließ er die drei ältesten Söhne hinrichten, weil sie seiner Herrschaft gefährlich wurden. In den römischen Machtspielen setzte er statt auf seinen Förderer Antonius auf den späteren Sieger Oktavian, den späteren Augustus. Ohne selbst Jude zu sein, hat er den Tempel prächtig wieder aufgebaut, nebst seinem eigenen Palast, baute Straßen und Wasserleitungen, und vermehrte so den Wohlstand der Bevölkerung. Mehrmals ließ er Steuern nach, war 2 x beim Kaiser in Rom, und 1 x mit seinen später ermordeten Söhnen in Aquiläa, wo Augustus sie miteinander versöhnte.

Aber die Weisheit schützt Kinder vor dem System. Die Sterndeuter verschwiegen den Christus, den sie gefunden hatten – die Verkündigung oblag den Hirten und Propheten. Das Kind in der Krippe erkennt nur, wer glaubt – und Systeme glauben nicht.

Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin

Gal 2, 2

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