Die Provinz des Menschen

Zuerst haben sie wissen wollen. Die Erkenntnis von Gut und Böse. Dieses Wissenwollen sucht die Alternative. Was es noch gibt, außer gut sein. Denn in dieser Welt war alles gut. Auch der Mensch. Die ganze Fülle lag ihm zu Füßen, buchstäblich. Gold und Karneolsteine im Boden, Bäume mit köstlichen, verlockenden Früchten, alle Arten Tiere und Pflanzen. Aber das war nicht genug, der Mensch wollte wissen, was es noch gibt.

- Und damit hat der Mensch die Provinz erschaffen. Das ist die Alternative zum Paradies. In der Provinz geht der Mensch gesenkten Hauptes hinter die Bäume, wenn Gott zu nahe kommt. Ansonsten hat er sich einigermaßen eingerichtet. Zwar muss er alle paar Jahre das Klo neu verfließen oder die Einfahrt betonieren. Draußen ist kein Türschild, und seine Nummer steht in keinem Verzeichnis. An den Feiertagen versammelt er seine Kinder, die ansonsten eigene Wege gehen. Das ist überhaupt die Provinz: dass alle ihre eigenen Wege gehen, und dennoch nicht alleine, sondern zu hunderttausend. In der Provinz gibt man sich’s, möglichst regelmäßig, Eishokeysaison, Faschingssaison, Fleischweihsaison, Kirchtagssaison, Gräbersaison. Seit die Alternative erfunden wurde, will der Mensch nichts mehr wissen. Die Katastrohen in der Geschichte sind ihm gleichgültig. Was seine Väter gemacht haben. Wie die Wirtschaft sich den Menschen organisiert, interessiert ihn nicht. Eilfertig läuft er ihr entgegen, mit dem Einkaufssackerl. Das Fremde in seiner Mitte will er ausmerzen, ohne es zu kennen. Eines Tages wird ihm das auch mit dem eigenen Herzen gelungen sein, er arbeitet daran. Wenn er die Natur teert und betoniert, will er nicht wissen, was darunter und daneben ist. Solange die Berggipfel darüber hinausragen. Selbständiges Wachsen und Sprießen beunruhigt ihn eher. Darum schickt er seine Talente meist in die Stadt, dort gefällt es ihnen, und sie bleiben.

In der Zeit nach Weihnachten finden wir uns wieder als Beschenkte. Auch wenn man nicht wissen will, welches zwölfjährige Mädchen in Thailand den Pullover genäht hat, für einen Euro für einen Zehnstundentag. Und täglich nicht wissen will, wie die afrikanischen Flüchtlinge in ihren Baracken leben in den spanischen Glashäusern, wo sie unser Wintergemüse ziehen auf Steinwolle. Und weiters wissen wir nicht, wie lange wir unsere Jobs behalten werden (außer mir selbst, ich habe eine krisensichere Branche gewählt). Und welche globale Krise nach der Welterwärmungskrise und der Finanzkrise die nächste sein wird. Vielleicht ist es die Freiheitskrise. Wo wir mit unseren stetig angewachsenen Alternativen nichts mehr anfangen können, so wie mit 100 Fernsehprogrammen. Vielleicht werden wir eines Tages gar nicht mehr anders können wollen. Sondern geradeheraus das Richtige tun, das, was uns selbst zutiefst entspricht. Und ohne es zurückzunehmen, ein eindeutiges Ja sagen. Und, anstatt sich fortwährend selbst aufs Spiel zu setzen und sich immer wieder zu verlieren, dann endlich wieder wissen wollen, nämlich: Wie soll das geschehen.

Wie soll solcher Wandel stattfinden? Bestimmt ist das nicht erlernbar, durch kein Schulsystem. Oder erstrebbar wie eine Karrierestufe. Es lässt sich nicht ausrechnen wie eine Wirtschaftsprognose, nicht erkämpfen wie ein Wahlsieg. Solche Überwindung der Provinz gibt es wie jede Bekehrung nur aus Gnade. Ein Geschenk, das unerwartet plötzlich da ist. Öffnen und verwenden musst du es selbst.

Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin

Gal 2, 2

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