6. Viri Galilaei

Ihr Männer, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? – So sagten die Weißgewandeten, vorwurfsvoll klingt es in unseren Ohren, man könnte versucht sein, noch hinzuzufügen: ... Und was geht ihr nicht endlich nach Hause und beginnt, etwas Vernünftiges zu tun? Baut endlich die neue Gemeinde der Christen auf, oder kümmert euch zu Hause um eure Familien!

So vernünftig wäre vielleicht unser Jahrhundert, wäre es dort gestanden in Galiläa, auf dem Berg, und hätte Jesus schwinden gesehen. Jetzt beginnt die Zeit der Selbständigkeit. Jetzt brauchen wir eigene Pläne und Konzepte, es ist vorbei, dem Meister nur hinterher zu gehen und seine Aufträge auszuführen. So denken doch die heutigen Menschen, die gelernt haben, anzupacken und in Ordnung zu bringen. Und man hört ein bißchen Erleichterung heraus. Nun bestimmen wir.

Aber dieses Jahrhundert hätte dann Jesus gar nicht gesehen. Jedenfalls hätte es ihn nicht erkannt. Es hätte von Jesus etwa so ein Verständnis gehabt wie manche Pharisäer: die hatte Jesus nur gestört. Ein Lästiger und Unbequemer, einer, der die Menschen herausfordert, der sie aufruft, sich selbst zu überwinden und alle ihre Blockaden und Vorurteile. Gerade gegenüber Gott, und da fühlten sich die Pharisäer doch hauptzuständig. Oder es hätte Jesus so gesehen wie Judas Iskariot, der Zelot, der Widerstandskämpfer gegen die Römer, ein vernünftiger Mensch mit einem praktischen Ziel, nämlich die Freiheit für sein Volk herzustellen, und gleich auch mit einem Plan, wie die neue Herrschaft aussehen sollte und wer sie auszuüben hätte. Immerhin einer der Jünger Jesu.
Oder wie Petrus, der Jesus, als er von Tod und Auferstehung spricht, in den Arm fällt und es verhindern will, denn der neue Weg soll doch ein Weg der Sieger und Erfolgreichen sein, denen die Sterne günstig sind und alles gelingen soll, mit Gottes Hilfe. Er ist der erste unter den Aposteln.

Aber dieses Jahrhundert hätte bei weitem zu kurz gegriffen. Denn die Genannten haben entweder Jesus verlassen oder verraten, oder sie sind gewandelt und geläutert worden. Denn die dort am Berg bei ihm gestanden sind, die haben sich ja bereits ganz auf ihn eingelassen. Für die war Jesus nicht mehr Sonntagsprediger, der eine gute Stimmung verbreitet, so daß man getrost mit gehobenem Herzen an den Sonntagstisch kehren und den Nachmittag mit der Familie genießen kann. Sondern Jesus nachfolgen kostet etwas. Verlangt Risiko. Fordert Mut und Totaleinsatz. Und beinhaltet Scheitern. Vielleicht beginnt es gerade beim Scheitern. Beim Begraben der eigenen Vorstellungen von einem guten Leben, wie damals am Ufer des Sees. Bei der totalen Niederlage unter dem Kreuz. Keine Ausreden mehr.

Und jetzt wird allmählich deutlich, warum die Männer noch immer am Berg stehen und Jesus nachblicken. Es ist nicht, dass sie um Jesus Angst hätten, dass sie sich Sorgen machten wegen ihm. Sondern es ist die Ratlosigkeit, wie sie in einer unchristlichen Welt eben diesen Christus bezeugen sollten. Es ist die Überforderung, auf sich selbst gestellt Jesu Gleichnisse anwenden zu müssen. Es ist das Zurückschrecken davor, nun heimzukehren und vor fragenden Gesichtern dafür einzustehen, was ein Leben in der Nachfolge Jesu ist. Verbindlich. Eindeutig. Wie werden sie herunterkommen von diesem Berg. Mit Jesus sind sie ihn hinaufgestiegen.

In diesem ihrem Zögern liegt bereits vorab die ganze Erkenntnis Jesu, des Heilands, des Erlösers, des Menschensohnes, des Gottessohnes. Der angebrochenen Gottesherrschaft inmitten der Welt. Nämlich dass man diesen Gott nicht aus eigenem verkünden kann. Das nur er selbst für sich sprechen kann. Und das auch tut. Jenseits von Wahrscheinlichkeiten und Mehrheitsbeschlüssen.

Im Zögern der Männer von Galiläa liegen die Millionen von Fragen, die sich den Menschen stellen werden, und zu deren verbindlicher Beantwortung sie einen Beistand nötig haben: Ob es richtig ist, Menschen nach ihrer Produktivität u beurteilen. Ob es angeht, dass die Mehrzahl der Menschen in Armut lebt und Hunger leidet, und wie sich dabei die Reichen rechtfertigen werden. Wieviele Schätze man der Mutter Erde entreißen darf, um jeden Meter mit dem Auto fahren zu können. Was den einzelnen die Reinheit der Luft und das Weltklima angeht. Wie Gerechtigkeit sein kann, wenn nicht alle gleich gelten vor dem selben Gott. Ob der Mensch nach den Sternen greifen soll oder im Labor Pflanzen, Tiere und Menschen produzieren, ob das für Menschen nötig ist und ihnen gut tut.

Wie eine Menschheit, die sich selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen im Begriff ist, einen Anker im Glauben haben kann. Wo doch gerade diese Menschheit versucht, die Brücken hinter sich abzureißen: darauf eine Antwort. Wie werden die Jünger darauf richtige Antworten finden ohne Christus, den menschgewordenen Gott. Deshalb zögern sie, ihn gehen zu lassen. Denn sie wissen, dass er Antworten hat – dass er selbst überhaupt die Antwort IST: Christus, der wahre Mensch, der gültige, verbindliche Mensch, der Mensch, so wie er bei der Schöpfung von Gott gemeint war.
Jesus Christus, der letzte Mensch.

Und der erste. Laßt ihn nicht aus den Augen.

Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin

Gal 2, 2

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