Glavinic auf Pilgerreise?

Was kann man erwarten von einem Roman, der einen Ungläubigen und Unwissenden auf eine Pilgerfahrt nach Medjugerje schickt? Es beginnt wie eine Art Forschungsreise, oder eine Entdeckungsreise ins Religiöse oder in die eigene Seele, wenn der Erzähler begründet, die Medjugorje-Pilgerfahrt wäre kürzer und billiger gewesen als eine nach Lourdes. Als ahnungsloser Zeitgenosse sitzt er dann im Bus, zusammen mit seinem noch gröberen Freund, beobachtet belustigt das Figurenensemble der Pilgergruppe und wundert sich über das Beten und andere religiöse Praktiken. Aber sowohl in den Sitzreihen des Busses, wie im Pilgerhotel, bei den religiösen Vorträgen und Gottesdiensten, als auch nachher bei seiner „Flucht“ an die kroatische Küste versteckt er seine wahren Motive. Er habe „in seinem ganzen Leben noch nicht gebeichtet und werde es auch garantiert niemals tun“, zeigt er sich überraschend dogmatisch immunisiert. Andererseits sagt er, „etwas über den Glauben dieser Menschen und vielleicht gar über meinen eigenen erfahren“ zu wollen. Zwischen diesen motivischen Klippen bewegt sich die ganze Reise, im ersten Teil durch eine skurrile Pilgerwelt, im zweiten durch eine noch skurrilere Balkanwelt. Wie durch Nebel erscheinen schemenhaft religiöse Ereignisse, Begegnungen mit anderen Pilgern, mit dem Freund und mit dem eigenen Vater und dessen Familie. „Manchmal gleiten Zeit und Dinge an mir vorbei“, erkennt er in einem lichten Moment. So darf man also keine Analyse eines religiösen Hotspots erwarten, und auch keine wirklich personale Begegnung mit Menschen oder dem Religiösen.
Was aber beinahe noch grotesker wird als die Pilgerkulisse, ist der streng konsumistische Vordergrund. Die beiden Freunde und Fremdlinge hanteln sich von einem Restaurant ins andere, fortwährend wird „bestellt“ und „serviert“, Bier und Schnaps, Pizza und Cevapcici aufgetischt und verdrückt, und man fragt sich, wie und wann das alles verdaut und verarbeitet werden soll. Unschwer sind die aufkommenden Gesundheitsbeschwerden als eine Folge dieses atemlosen Schlingens erkennbar, und sie steigern sich maßlos im fortgesetzten Tablettenkonsum. Im Finale furiosum kippt diese rasende Unruhe wie in einem Kippbild plötzlich in das gewitterhafte äußere Geschehen, und das verbleibende Ich erscheint als subjektlose, leere Gestalt. Das Unglück, kein Heiliger zu sein, könnte als Erkenntnis dastehen, leer geworden zu sein, ohne die Seele dem Heiligen verschrieben zu haben – falls Gavinic überhaupt auf eine wahrhafte Begegnung aus ist und nicht nur auf einen skurrilen Plot, wofür ich freilich keine Beweise habe.

Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin

Gal 2, 2

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