Avatar, gesehen

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Eine Paraphrase auf die Indianer könnte das sein: eine späte Entschuldigung für ihre Ausrottung, ein barocker Western sozusagen, in aller möglichen Üppigkeit. Mit den Ausdrucksmitteln von Walt Disney, mit den großen Bambi-Augen am Rande des Untergangs, in alter amerikanischer Tradition.
Eine Verbeugung vor der Naturverbundenheit der Naturvölker, die aber eben amerikanisch gesehen wird, also Geister und Ahnen mittels Einloggen in den pflanzlich-tierischen Säftekreislauf; der Schwanz als iPhone.
Übrigens gab es nirgends Körperbehaarung, nur gefiederte Flugsaurier und schorfige Drachen, oder schwebend tanzende Schmetterlingsquallen - das hat mich gleich meine Katze gelehrt beim Heimkommen, und an ihrer Botschaft war auch ohne Einloggen kein Zweifel: Hunger!
Dass die Verbeugung nicht ehrlich ist, sondern selbstgefälliger leerer Gestus, verrät die Ästhetik: Die Na'vi, bizarr schlank und hochgewachsen, entsprechen einem westlichen Schönheitsideal, haben hingegen mit den Frauen Sitting Bulls soviel zu tun wie meine schwarze Katze mit einem Pekinesen. Eher könnte man an Winnetous Schwester Nschotschi denken, oder an die Freundin dessen, der mit dem Wolf tanzt - so wünscht sich der Westen die Natur: schlank und so begehrlich und unnahbar wie unverständlich.
Was mich beeindruckt hat, war die Massenästhetik der kaugummikauenden Marines, die in ihren Militärstiefeln und Rüstungen jede Intelligenz niedertrampeln, und die sich im Kinosaal als erdrückende Übermacht an mit vorbeidrängte, bereits vor Beginn, als ich mich im Halbdunkel auf der Suche nach einer Toilette durch die Warteschlangen vor den Snack-Theken und das Stakkato von Soundtracks und Lichtblitzen drängen musste, als gehörten sie alle mit zum Film, mit dumpfen Gesichtern, blind und taub für die Umgebung, Popcorn mampfend und verstreuend - als sie am Ende brabbelnd hinausquollen, dachte ich zuerst an die trampelnden Nashörner, und erst als die Karossen am Parkplatz angeworfen wurden, waren sie wieder die Marines, die wie herumballernde Cowboys über Indianerdörfer hereinbrachen.
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Jake Sulli ist der Protagonist und die Identifikationsfigur, und hier beginnen die Rätsel. Er wechselt die Seiten, der Invalide wird zum Kämpfer, der Spion zum Liebenden, der Soldat zum Forscher. Er positioniert mit seiner Wende die Sympathien des Films so eindeutig und lässt die blinde und rücksichtslose Macht der Technik und des Geldes so eindeutig auflaufen, dass man sich genieren müsste, wenn sich herausstellt, dass man zu denen gehört.
Kinomäßig kämpft David gegen die Übermacht der Philister, und gegen einen monströsen Goliat. Seit Jahrzehnten wird er dabei von Film zu Film teamfähiger. Aber diese so vollständige Umwandlung lässt doch einige Fragen offen - obwohl die Schnelligkeit und Rastlosigkeit der Szenenfolge nicht gerade auf tiefere Botschaften zielt, sondern jedenfalls auf emotionale Überwältigung.
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Die nachhaltigste Wirkung scheint in der Leichtigkeit und Behendigkeit der Bewegungen der Na'vi zu liegen, die wie Eichkätzchen durch die Baumkronen laufen - und Jake lernt das. Die Gesten sind klar, die Ausdrucksbewegungen ungekünstelt, die Sorgen und Freuden der Naturmenschen geradeheraus. Die katzenartige Anmut Neytiris zeigt sich bereits in der verächtlichen Zurückweisung des zudringlichen Tolpatsches, und entfaltet sich in der amazonenhaften Demonstration ihrer Natur- und Kriegsbeherrschung. Berührend und filmbeherrschend ist, wie die Königin der Baumkronen und Abgründe den kindhaften Eindringling nach und nach zähmt und unterweist, fein gesetzt die Szenen, wenn sie ihm stolz über die Schulter schaut und sich an seinen Fortschritten freut. Vielleicht ist es diese Beziehungsästhetik, der die blauen Figuren dienen, der offene, gelbäugige Blick, das Misstrauen wie das spätere freie Einverständnis. Eine Wohltat, nach den Unmengen hochneurotischer Frauen- (und Männer-) Gestalten Hollywoods, nach all der Coolnes und den nervigen Beziehungsdreiecken. Die ungezwungene Natürlichkeit der Mulattin Zoe Saldanas scheint wesentlich den Film zu tragen, indem sie eine Brücke zur Natur baut sowie zu ihrem Volk, das sich indianergleich argwöhnisch um den Weißen schart - wie in "Der mit dem Wolf tanzt", um ihn schließlich einzugliedern und unter seiner Führung gegen seine eigenen Leute zu kämpfen.

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Nocheinmal zurück zu Jake. Seine Wandlung beginnt ja bereits als Gewinn der dritten Dimension: Der Rollstuhlfahrer bekommt Beine, und beginnt zu rennen - nun kommt er allmählich auch menschlich in Fahrt. So scheint auch die 3D-Technik gerechtfertigt, die sich nach dem militärisch-metallischen Grau nun in eine aberwitzige Farbenpracht und Raumtiefe auftut, sodass kein Fuß mehr platt am Boden stehen kann, ohne sogleich von schimmernden Ranken umwoben zu werden. (Wenigstens kann Neytiri gut Menschensprache, damit die Untertitel nicht immer so dümmlich zwischen den Bäumen herumstehen müssen) Alice im Wunderland sowie das Dschungelbuch scheinen Pandoras Vorläufer zu sein. Aber auch die Alliens, die wie üblich Sigourney Weaver nachgereist sind, haben sich gewandelt: keine grauenhaften, ekeligen Ungeheuer mehr, sondern hochtechnisierte, coole, menschliche Ungeheuer, die heuschreckenhaft über das Paradies hereinbrechen und es zerstören.
Jakes Wandlung wird Schritt um Schritt vollständiger. Und nachdem aus dem coolen Soldaten ein verliebter Na'vi geworden ist (ist das überhaupt eine Wandlung: von der Marine zur Navy?), wird zuletzt die bis dahin nur technisch ermöglichte Wandlung dann auch naturell vollzogen: eine Transsubstantiation. Aus einem wird ein anderer.

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Eigentlich könnte das ja Metapher genug sein für einen Film. Aber es ist so beiläufig gesetzt, knapp vor Schluss, und dem Kulturkampf so untergeordnet: nur mehr Draufgabe. Und um wirklich Wandlung darzustellen, bräuchte es entschieden mehr Geist - da muss Graze recht gegeben werden. Denn der Schamanismus der Eingeborenen wird ganz materiell verstanden, die Urmutter als Telefonvermittlerin und die Liturgie als Ballett, dass man eigentlich auch nicht ernsthaft erwarten kann, dass der Kinobesucher gewandelt aus dem Saal geht.
Dann nehmen wir die Natur als Metapher: Der Urwald wie ein einziger, lebender Organismus, Natürlichkeit als ursprüngliches aus-sich-heraus-Sein seiner Bewohner, in Anmut und Unbefangenheit (Tarzan), und (das ist der moralische Zeigefinger) in Einheit mit dem Ganzen. Könnte ein stimmiges Modell sein, das als Utopie unsere technisierten Erdenbewohner zur Umkehr bewegt. Allein: Nachahmung ist unmöglich, wie soll denn Pandora erreicht werden, solche Fans, die nicht ins falsche Leben zurückkehren wollen, denken an Suizid (siehe Fan-Blogs). Wer denkt schon an ein Survival-Camp oder an eine Bergtour? Nein: Das ursprünglichkeitsstrotzende Pandora ist ein hochartifizielles Gebilde, voller drahtloser Leuchtgirlanden, von Klonen durchstreift, die mittels Ganzkörperscanner betrieben werden. Ein Urwald auf technischer Basis aber ist ein Disney-Land, oder vielleicht ein Jurassic-Park: Und nach Aussagen von Kinobesuchern wird auch mehr über die farbenreiche Tricktechnik gestaunt als über die scheinbare Ursprünglichkeit. Jedenfalls subversiv.
Und das bleibt nun: Diesmal hat das Gute noch gesiegt über den Menschen - aber er wird gewiss wiederkommen. Gut wird, wer den Menschen loswird - falls das gelingt.
weichensteller - 2. Mär, 21:32