Ein neuer Mensch
Ich bin nach langer Zeit wieder einmal im Einkaufszentrum. Ein Vorteil ist die unproblematische Zufahrt mit dem Auto. Ich suche Schuhe, die ich in den letzten Schuhgeschäften in der Stadt nicht mehr finden konnte, weil alle ihr großes Sortiment abgezogen haben und ins Einkaufszentrum verlegt. Ich suche einige Minuten auf zwei Etagen nach einem Schuhgeschäft – weil ich die Örtlichkeiten nicht so genau kenne. In der gleichen Zeit hätte in die Villacher Innenstadt mit dem Fahrrad durchquert.
Ich sehe Menschen, die plaudernd Verkaufszonen durchstreifen, ohne zu registrieren, wo sie sich befinden. Die Geschäfte haben keine Eingangstüren: daher grüßt auch niemand beim Betreten oder Verlassen des Geschäfts. Die Angestellten sitzen wie betäubt an der Kassa oder schlichten stumm und unbeteiligt Ware in die Regale. Nicht identifizierbare Musik plärrt aus unsichtbaren Lautsprechern, ein Springbrunnengeplätscher verstärkt das Hintergrundrauschen, Stimmengeraune kommt dazu. Von verschiedenen Ecken wehen Düfte von Bratfett oder Kaffee und beschleunigen meine Suche. Kinder gereizter Eltern laufen die Reihe von beleuchteten Glasstäben auf und ab und bringen sie zum Schwingen, als wären es Farnwälder. Manchmal sehe ich ein bekanntes Gesicht, oft peinlich berührte Abwendung des Blicks, oft kurzes Zunicken im Vorbeihuschen. Auf der Rolltreppe abwärts stehend, sehe ich jene Burschen umherziehen, die sich noch letztes Jahr regelmäßig auf unserer Fußballwiese getroffen haben: ich kann nicht erkennen, was sie hier tun.
Ich betrete die Verkaufsfläche des gesuchten Geschäfts, niemand nimmt von mir Notiz. Ich spreche eine unbeirrt Regale einschlichtende Verkäuferin an, sie schickt mich in den hinteren Teil des Geschäfts. Dort ist eine andere Verkäuferin mit einer Familie beschäftigt, sie nimmt minutenlang keine Kenntnis von mir. Als nach und nach andere Kunden hinzutreten, ruft sie Verstärkung, schreit, brüllt einige Male den Namen der vorher angetroffenen Verkäuferin, bis diese herläuft und wortlos Schuhkartons schlichtet. Nach einigen Minuten spreche ich sie an, sie erschrickt und blickt mich an, als würde sie aus einem Traum erwachen – und gibt mir die gewünschte Auskunft. An der Kassa steht breit vor mir ein lautstark telefonierender Kunde. Es ist nicht klar, ob er den Zahlvorgang schon beendet hat, ein Geldschein liegt am Tisch, er schwingt einen Plastiksack, minutenlang, stumm schauen die Verkäuferinnen zu und tauschen Blicke. Später erfahre ich, dass die Verkäufer oft zwölf Stunden im Geschäft sind und nicht wissen, ob draußen die Sonne scheint oder es regnet, wie heute.
Ich habe in Einkaufszentren immer den Eindruck, als ob die Menschen hier in Hypnose wären: wie ferngesteuert, von Bildern und Markennamen hierhin und dorthin gezogen, ihre menschlichen Qualitäten vergessend. Geschäftig, quasselnd, ihre Umgebung ignorierend. Oder aber es sind andere Menschen. Solche, die hier erzeugt werden, großgezogen, die sich hier ausbreiten, unter Musikberiesel und Rolltreppengeschiebe, die keine Sonne mehr kennen und kein aufmerksames Gespräch von Angesicht zu Angesicht. – Später treffe ich auch im Wald solche, die sich brüllend unterhalten, andere, die versunken mit Kopfhörern vorbeihuschen, und nur der hervorquellende Lärm bestätigt, dass sie wirklich da waren. Ich habe auch in Jugendzimmern schon Wesen mit kleinen Augen gesehen, die auf Glasscheiben starrten und beim Grüßen nur einen Grunzton von sich gaben. Kinder sind die Hälfte meines Besuchs damit beschäftigt, auf die Mutter einzureden und sie zu irgendetwas zu überreden. Und Erwachsene kenne ich, die suchen sich einen Partner im Internet nach Körpergröße, Monatsverdienst und Essensvorlieben, wie ein neues Auto. Und andere gehen ins Fitnessstudio, um ihren Brust- oder Taillenumfang zu vergrößern oder verkleinern, oder zum Chirurgen. Ein neuer Menschenschlag breitet sich aus in der Stadt, als würde er synthetisch erzeugt, aber niemand wills gewesen sein, niemand ist dafür verantwortlich. Still und unbemerkt nimmt er die Stadt in Besitz, nur in die Kirche scheint er noch nicht gekommen zu sein.
Ich sehe Menschen, die plaudernd Verkaufszonen durchstreifen, ohne zu registrieren, wo sie sich befinden. Die Geschäfte haben keine Eingangstüren: daher grüßt auch niemand beim Betreten oder Verlassen des Geschäfts. Die Angestellten sitzen wie betäubt an der Kassa oder schlichten stumm und unbeteiligt Ware in die Regale. Nicht identifizierbare Musik plärrt aus unsichtbaren Lautsprechern, ein Springbrunnengeplätscher verstärkt das Hintergrundrauschen, Stimmengeraune kommt dazu. Von verschiedenen Ecken wehen Düfte von Bratfett oder Kaffee und beschleunigen meine Suche. Kinder gereizter Eltern laufen die Reihe von beleuchteten Glasstäben auf und ab und bringen sie zum Schwingen, als wären es Farnwälder. Manchmal sehe ich ein bekanntes Gesicht, oft peinlich berührte Abwendung des Blicks, oft kurzes Zunicken im Vorbeihuschen. Auf der Rolltreppe abwärts stehend, sehe ich jene Burschen umherziehen, die sich noch letztes Jahr regelmäßig auf unserer Fußballwiese getroffen haben: ich kann nicht erkennen, was sie hier tun.
Ich betrete die Verkaufsfläche des gesuchten Geschäfts, niemand nimmt von mir Notiz. Ich spreche eine unbeirrt Regale einschlichtende Verkäuferin an, sie schickt mich in den hinteren Teil des Geschäfts. Dort ist eine andere Verkäuferin mit einer Familie beschäftigt, sie nimmt minutenlang keine Kenntnis von mir. Als nach und nach andere Kunden hinzutreten, ruft sie Verstärkung, schreit, brüllt einige Male den Namen der vorher angetroffenen Verkäuferin, bis diese herläuft und wortlos Schuhkartons schlichtet. Nach einigen Minuten spreche ich sie an, sie erschrickt und blickt mich an, als würde sie aus einem Traum erwachen – und gibt mir die gewünschte Auskunft. An der Kassa steht breit vor mir ein lautstark telefonierender Kunde. Es ist nicht klar, ob er den Zahlvorgang schon beendet hat, ein Geldschein liegt am Tisch, er schwingt einen Plastiksack, minutenlang, stumm schauen die Verkäuferinnen zu und tauschen Blicke. Später erfahre ich, dass die Verkäufer oft zwölf Stunden im Geschäft sind und nicht wissen, ob draußen die Sonne scheint oder es regnet, wie heute.
Ich habe in Einkaufszentren immer den Eindruck, als ob die Menschen hier in Hypnose wären: wie ferngesteuert, von Bildern und Markennamen hierhin und dorthin gezogen, ihre menschlichen Qualitäten vergessend. Geschäftig, quasselnd, ihre Umgebung ignorierend. Oder aber es sind andere Menschen. Solche, die hier erzeugt werden, großgezogen, die sich hier ausbreiten, unter Musikberiesel und Rolltreppengeschiebe, die keine Sonne mehr kennen und kein aufmerksames Gespräch von Angesicht zu Angesicht. – Später treffe ich auch im Wald solche, die sich brüllend unterhalten, andere, die versunken mit Kopfhörern vorbeihuschen, und nur der hervorquellende Lärm bestätigt, dass sie wirklich da waren. Ich habe auch in Jugendzimmern schon Wesen mit kleinen Augen gesehen, die auf Glasscheiben starrten und beim Grüßen nur einen Grunzton von sich gaben. Kinder sind die Hälfte meines Besuchs damit beschäftigt, auf die Mutter einzureden und sie zu irgendetwas zu überreden. Und Erwachsene kenne ich, die suchen sich einen Partner im Internet nach Körpergröße, Monatsverdienst und Essensvorlieben, wie ein neues Auto. Und andere gehen ins Fitnessstudio, um ihren Brust- oder Taillenumfang zu vergrößern oder verkleinern, oder zum Chirurgen. Ein neuer Menschenschlag breitet sich aus in der Stadt, als würde er synthetisch erzeugt, aber niemand wills gewesen sein, niemand ist dafür verantwortlich. Still und unbemerkt nimmt er die Stadt in Besitz, nur in die Kirche scheint er noch nicht gekommen zu sein.
weichensteller - 16. Sep, 23:20